Ich bin eine Nomadin
überreichte mir eine kleine, glänzend blaue Karte, auf der »Giro« stand. Sie funktionierte nicht an Geldautomaten, sondern war nur als Gedächtnisstütze für meine Kontonummer gedacht, aber ich fand, sie sah fantastisch aus.
Der ehrenamtliche Betreuer war sehr freundlich und sehr genau. Er meinte, ich solle mir eine Brieftasche besorgen und mein Geld und die Dokumente nicht in der Jackentasche mit mir herumtragen. Es war mir zu peinlich zu fragen, was eine Brieftasche war. Wir sprachen Englisch, doch das Wort »wallet« hatte ich noch nie nachgeschlagen.
Zwei Wochen später passierten zwei erfreuliche Dinge. Mein Fünftausend-Gulden-Kredit wurde auf mein brandneues Konto überwiesen, und die Bank schickte mir eine Kundenkarte. Damit konnte ich Geld aus einer Maschine an der Hauswand herauslassen, wann immer ich Lust dazu hatte.
Yasmin und ich jubelten. Ich nehme an, wir hatten beide davon geträumt, einmal reich zu werden. Meine Mutter und Großmutter hatten diese Möglichkeit für meine Schwester und mich immer wieder angedeutet. Doch für uns bedeutete das ebenso wie für Ma und Großmama damals, dass wir reiche Männer heiraten würden, die für uns sorgten. Reich zu werden war also Glückssache (man hatte Glück, wenn man einen reichen Mann heiraten konnte), aber außerdem auch abhängig von einem tadellosen Verhalten als fügsames Mädchen, das baari lebt, und als Jungfrau, die an Ehre und Reinheit alle anderen Frauen übertrifft.
Jetzt waren Yasmin und ich reich, Allah sei Dank. Wir redeten über Inneneinrichtung, über Vorhänge und Teppiche und Möbel. Wir benutzten immer wieder Worte wie »hübsch« und »schön«, ohne uns je festzulegen. Das letzte Mal hatte ich mit acht Jahren in Äthiopien, in Addis Abeba, in einem »eingerichteten« Haus gewohnt. Ansonsten bestand die Vorstellung meiner Mutter von Ausstattung darin, unsere gambar – somalische, mit Kuhhaut bespannte Holzschemel – auszupacken und dünne Matten auf den Boden zu legen, die vielfältig verwendbar waren. Wir saßen darauf und schliefen darin, und wir aßen auf dem Boden. (In einem Haus in Kenia hatten wir mal einen Esstisch und vier Stühle, aber Ma zertrümmerte sie in einem Wutanfall.) Vor die Fenster hängte sie Laken oder lange Tuchbahnen vom Straßenmarkt.
Meine Familie führte selbst in der Stadt ein Nomadenleben. Wir zogen oft um, und jedes Mal, wenn wir ein neues Haus mieteten, waren die Fenster für uns eine Art Offenbarung.
»Fenster«, sagte mein Vater selbstzufrieden. »Viele Fenster. Noor. Licht, viel Licht, viel Licht.«
Meine Mutter fiel ihm ins Wort. »Daah, daah, daah« – zuhängen, zuhängen, zuhängen. Wir brauchten Vorhänge. Mein Vater verzog das Gesicht, und schon war der schönste Streit im Gange.
»Warum suchst du ein Haus mit so vielen Fenstern aus, wenn du kein Geld für Vorhänge ausgeben willst?«
»Warum willst du uns in die Finsternis stürzen? Wozu brauchst du Vorhänge? Wir haben nichts zu verstecken. Wir sind rein; wir sind Muslime; wir sind die Kinder von Magan …«
Vorhänge waren für mich also immer ein Thema gewesen.
Yasmin wollte Seidenbrokatvorhänge in Burgunderrot. Sie wollte üppige Teppiche, Sofakissen, in die man tief einsank, Kronleuchter. Ihre reiche Großmutter hatte sie in Nairobi aufgezogen – Yasmin war auch eine somalische Exilantin –, und ihr Lebensstil war offenbar ganz anders als der meiner Verwandten gewesen: Sie hatte viel Geld, Energie und Zeit in die Suche nach dem richtigen Farbton investiert, damit die Vorhänge auch wirklich zu den Polstern passten.
Brokat. Polster. Ich hatte keine Ahnung. Das waren Worte aus Romanen von Jane Austen; und ich lebte schon in einer Alice-im-Wunderland-Welt hinter den Spiegeln, mit einer Bankkarte und einer Wohnung.
Ein Wachmann, der im Asylbewerberzentrum arbeitete, bot uns an, nach Arbeitsschluss mit uns zu Möbelläden zu fahren. Er fragte, was wir ausgeben konnten, und sagte dann, er würde uns zu Läden fahren, die er als billig bezeichnete.
Aber dahin wollten wir nicht. Yasmin und ich rümpften die Nase und sagten: »Oh, nein, das passt nicht zu uns, wir hätten lieber etwas Vornehmeres.«
Er versuchte, uns zur Vernunft zu bringen: »Das könnt ihr euch nicht leisten, ihr verschwendet eure Zeit.«
»Nein, nein«, sagten wir. »Genau das wollen wir, bitte zeig uns die vornehmen Läden.« Ich war überhaupt noch nie in einem Möbelgeschäft gewesen, aber ich wollte Brokat, Polster, Qualität – nichts Hässliches und
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