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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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heranwuchs. Ich habe etwas erschaffen, das dazu bestimmt ist, über mich hinauszuwachsen – obwohl ich sie seit ihrer Geburt kenne, habe ich keine Ahnung, wozu sie imstande ist –, und etwas, das mich frustrieren muss, denn kein anderes Wesen kann mir so viele Sorgen und Schmerzen bereiten wie sie.
    Ein Jugendlicher wird vermisst, das ist alles, sagte ich mir. Entweder er kam zurück oder er wurde verwandelt – in meinen Augen gab es nur diese beiden Möglichkeiten. Es war noch nie anders gewesen. Wir können nur versuchen, gut auf sie aufzupassen und ihnen zu helfen, klug und stark genug zu werden, um ihre Welt zu verstehen – oder das, was jenseits davon liegt, je nachdem.
    »Man hat seine Brieftasche gefunden und seine Sachen«, rief ich Nippima hinterher. »Mehrere Menschen haben dem Inspektor erzählt, sie hätten euch zusammen gesehen.«
    Ich weiß nicht, ob sie mich hörte. Sie flog hinauf in die Bäume, und allmählich verblasste ihr purpurnes Schillern, das sich sanft von dem dunklen Laub des Dschungels abhob.
    Am Tag darauf sollte Eths Abschied stattfinden, deshalb hatte ich noch zu tun. Ich stieg hinab in meine Werkstatt. Obwohl es dort sehr kühl war, hatte ich den Leichnam sicherheitshalber auf Eis gelegt, wodurch er sich gut gehalten hatte. Ich hatte Eth gewaschen und ein klein wenig in Form gebracht, aber ach, sie war immer noch dieselbe geschundene Leiche, die vor fünf Tagen am Rand der Via gefunden worden war.
    Ich brauchte fast den ganzen Nachmittag, um den Sarg zusammenzubauen. Ich ließ den Deckel offen und beschloss, den Leichnam erst hineinzulegen, wenn Nippima mir helfen konnte, später oder am nächsten Morgen.
    Aber Nippima kam an jenem Nachmittag nicht nach Hause. Ich saß in der Küche, las und wartete auf sie. Irgendwann am Abend schlief ich auf dem Küchenboden ein. Vor dem ersten Morgengrauen wachte ich auf, als irgendjemand unten in meiner Werkstatt herumpolterte. Es musste Nippima sein. Was machte sie wohl ganz allein da unten? Es war äußerst merkwürdig. Ich lauschte eine Weile durch den Boden und überlegte, ob ich wohl einmal nachsehen sollte. Aber ich traute mich nicht recht, sie zu stören, und beschloss schließlich, ins Schlafzimmer zu gehen und ein paar Stunden zu schlafen.
    Als ich am Morgen erwachte, war es still. Es war der Morgen von Eths Abschied. Ich krabbelte hinunter zu meiner Werkstatt, um meine Vorbereitungen abzuschließen, und spähte vorsichtig hinein. Nippima war nicht da. Es erstaunte mich, dass auch Eths Leiche nirgends mehr zu sehen war, aber der Sarg war fertig und der Deckel geschlossen.
    Eigenartig. Wenn Nippima das ganz allein gemacht hatte, war das eine Menge Arbeit. Ich näherte mich der Kiste und strich mit dem Fühler über die Fugen und Stöße; sie war sehr gut gearbeitet. Ich schob einen Fühler unter die Deckelkante, wollte ihn öffnen und hineinsehen, den Zustand von Eths Leiche begutachten und sehen, wie es Nippima gelungen war, sie hineinzulegen. Darf ich etwas Dummes gestehen? Ich hatte Angst, nachzusehen. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich schlecht geschlafen hatte, aber mir gingen einige seltsame Gedanken durch den Kopf.
    Ich beschloss zu warten, bis Nippima aufwachte und aus ihrem Zimmer kam. Als ich in die Küche hinaufkrabbelte, sah ich, dass Orlip und seine beiden Geschwister bereits da waren und geduldig vor meinem Bau warteten. Ich bat sie herein. Jetzt wurde es langsam knapp – die Zeremonie sollte bald beginnen. Ich ging zu Nippimas Zimmertür, und von drinnen hörte ich ihr raues Schnarchen. Aber ich konnte nicht warten, bis sie aufwachte und sich zurechtgemacht hatte. Ich bat also Orlip und seine Geschwister, mir zu helfen, den Sarg in die Maschine zu laden.
    Er war unheimlich schwer; derart wuchtig hatte ich Eth nun auch wieder nicht in Erinnerung. Aber wir konnten ihn heben, und er passte genau in meinen Leichenflieger. Zu viert machten wir uns auf den Weg zum Rand der Schlucht.
    Ich bin kein gläubiges Wesen. Das letzte Mal habe ich einen Tempel besucht, als meine Ka noch lebte. Ich weiß nicht, was passiert, nachdem jemand gestorben ist, und ich glaube, es ist mir auch egal. Aber ich kenne den Körper. Der Körper ist klug: Er wächst und heilt sich bei Verletzungen. Selbst die Verwesung ist eine Form der Intelligenz. Sogar die Krankheit, der Tod.
    Sterbe, damit du leben kannst : Ich weiß, dass Jesus das lehrte. Wenn wir einen Leichnam betrachten, sehen wir alles, was ein Wesen war, aber es ist kein Wesen mehr. Ein

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