Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
sich lange über die »Brutalität« unserer Paarung, bis einige von uns es sogar zu glauben begannen. Sie beharrten darauf, dass das, was wir als natürlich erachteten, nur eine Willenssache sei. Dass man es anders machen könne – so wie die Menschen. Aber was wir tun, hat nichts mit Brutalität zu tun. Nichts könnte weiter von Mord entfernt sein. Es dient dem Erhalt unserer Spezies, das ist für mich sonnenklar. Leben ernährt neues Leben: Es steht auf einer Stufe mit dem Akt der Liebe, ist eine weitere Komponente davon.
In den letzten Jahren haben es die Erdlinge jedoch offenbar verstanden. Sie sprechen kaum noch davon, und wenn, dann entschuldigen sie es als »Instinkt«. Sie haben ihre prüde Scheinheiligkeit abgelegt – oder es liegt vielleicht nur daran, dass sie hier Geschäfte machen wollen. Möglicherweise ist ihnen auch aufgefallen, dass Gewalt und Mord außerhalb der Paarung hier etwas seltener vorkommen als in rein menschlichen Gesellschaften. Und als sich immer mehr Erdlinge mit Wesen von hier paarten, haben sie festgestellt, dass der Akt selbst zwar in etwa gleich funktionieren mag, der Impuls für das dramatische Geschehen danach jedoch ausbleibt, weil kein Ei befruchtet wird.
Ich habe mich trotzdem immer gefragt, ob Barhoevens Weibchen Sroot nie den Drang hatte, Barhoeven, während er schlief, die Zähne in die Schädelbasis zu schlagen, ein kleines Loch in seine Bauchdecke zu beißen und ihre Larve hineinzustecken. Fühlte sich ihre Liebe überhaupt richtig vollzogen an, bevor das nicht geschehen war? Sie zogen ihr adoptiertes Kind im ersten Monat im Inkubator auf und fütterten es mit Proteinbrei. War das vielleicht der Grund, weshalb das arme Wesen jetzt die Sonderakademie besuchen musste? Dieses seltsame Paar – haben sie einander gut behandelt? Habe ich meine eigene Familie gut behandelt? Wir alle, Menschen und Wesen gleichermaßen, halten vielleicht zu vieles für selbstverständlich, sind zu gedankenlos mit dem einverstanden, was vorher geschehen ist.
Nach unserer Begegnung auf der Via war Nippima zwei Tage lang sehr still. Sie besuchte nicht wie üblich die Ferienanlagen, sondern verbrachte die meiste Zeit schmollend in ihrem Zimmer und kam nur abends heraus, um ein paar Stunden auszufliegen. Am dritten Tag klopfte Inspektor Barhoeven an meinem Einflugloch. Ich befühlte ihn und bat ihn herein.
»Was kann ich für Sie tun, Barhoeven? Gibt es endlich neue Erkenntnisse, wer Eth mit seiner Maschine getroffen hat? Möchten Sie sich die Leiche noch einmal ansehen?«
»Die Akte wurde geschlossen«, erwiderte Barhoeven, und sein gebräuntes, faltiges Gesicht errötete. »Eigentlich komme ich eher, um mit Nippima zu reden.«
»Sie schläft noch. Worum geht es denn?«
Er ging in meinem Bau auf und ab und besah sich die Lehmwände – leider habe ich für menschliche Besucher keine Stühle da. »Wie es aussieht, wird seit drei Tagen ein Gaststudent von der Höheren Akademie vermisst.«
»Aber was hat Nippima damit zu tun?«
Er wählte seine Worte sehr vorsichtig. »Offenbar ist sie mehrmals mit ihm ausgeflogen. Ich wollte sie nur fragen, ob sie irgendetwas weiß.«
»Sie fliegt mit vielen Leuten aus, Barhoeven. Es sind ihre Kunden.«
Natürlich fürchtete ich zu wissen, wen er meinte – es gibt nicht so viele Gaststudenten, und meine Nippima kennt noch weniger von ihnen. Ich dachte daran, in welchem Zustand ich sie vor drei Tagen auf der Via getroffen hatte, an das getrocknete Blut vom Klettern. Ein dummer Zufall. Mich packte die Angst. Meine elterlichen Instinkte sagten mir sofort, dass Barhoeven besser erst einmal nichts davon erfuhr, jedenfalls nicht, bis ich mit Nippima darüber gesprochen hatte.
»Sie schläft leider noch.«
Er hörte schließlich auf, durch meinen Bau zu wandern, und blieb vor mir stehen. »Thoren, ich würde dich damit nicht belästigen, wenn ich nicht müsste. Vielleicht ist er ja nur zum Zelten in die Schlucht gegangen und hat seinen Mitbewohnern nichts davon gesagt, aber er war mit einem Stipendium der Erdregierung hier. Seine Eltern sagen, er meldet sich normalerweise zweimal am Tag. Mir sitzen wegen dieser Sache schon eine Menge Leute im Nacken.«
Aber Nippima war doch noch ein Kind, genauso verletzlich wie der vermisste Mensch, und ich musste sie beschützen.
»Es tut mir wirklich leid, Barhoeven. Bitte kommen Sie später wieder.«
Barhoevens Perlenaugen flackerten jetzt ärgerlich auf. Er hätte auch anders mit mir reden können, mir damit drohen
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