Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
Buch mit sieben Siegeln, aber ein Tatsachenbericht. Wir sehen, was es war: ein feiner und ausgeklügelter Mechanismus, etwas vollkommen Zufälliges und Vergängliches, Teil einer größeren Logik, in die es nun nicht einmal mehr einen flüchtigen Einblick bekommt, Ausdruck und Spielball der Natur. Wir sehen nichts.
Der Körper verschwindet nicht, er wird nur umgewandelt. Ich war hier in dieser Stadt, als bekannt wurde, dass ein Wesen seine Kinder schlug, sie regelrecht verprügelte. Warum tut ein Wesen denjenigen, die es am meisten liebt, so etwas an? Ich verabscheue Gewalt. Das habe ich auch Nippima zu vermitteln versucht. Und eins dieser armen Kinder kaufte von einem Erdling eine geladene Waffe und erschoss seinen Ka damit. Dann richtete es die Waffe auf seinen Bruder und anschließend auf sich selbst. Als alles vorbei war, brachte man mir die Leichen. Begriff ich besser, was da geschehen war, erklärten mir diese Leichen irgendetwas? Die Lebenden waren unglücklich gewesen, verwirrt, verletzt, zornig und vollkommen unerfüllt. Diese stillen Leichen waren zufrieden. Ihnen fehlte nichts. So viel begriff ich.
Ich dachte an den Körper meiner Partnerin gegen Ende der drei Wochen: eine zerfallende Hülle, ein paar knisternde Knorpel unter schlaffem Filz, ein ausdrucksloses Gesicht. Teile von ihr müssen noch hier unter dem Keller unseres Baus liegen. Vielleicht gibt es andere Arten zu leben, vielleicht gibt es Liebe ohne solchen Schmerz – das wollen uns die Menschen erzählen. Vielleicht sollten wir uns aber auch einfach der unergründlichen Weisheit des Körpers fügen.
Wir kamen am Rand der Schlucht an; ich schwebte mit meiner Maschine nur wenige Zentimeter über einer grasbewachsenen Lichtung. Ich merkte, dass Orlip während des Flugs hierher sehr emotional geworden war, und als wir den Sarg herausholten, zitterten ihm die Fühler. Wir stellten den Kasten auf das Gras, und das arme Kind schüttelte den Kopf und schlug mit einem Fühler auf das Holz. Er war in höchster Aufregung.
»Ich will sie sehen«, sagte er. »Decken Sie sie auf.«
»Orlip, das wäre keine gute Idee.«
Aus den raschelnden Bäumen ein paar Meter weiter war eine Gruppe von Menschen gekommen. Sie trugen Blasenhelme und leuchtend orangefarbene Overalls, und sie hatten eine Decke und einen Korb mit Flaschen voll Rebenalkohol dabei. Sie sahen uns, und sie sahen den Sarg. Sie waren schrecklich neugierig. Dann ließen sie sich im Gras nieder und taten, als beachteten sie uns nicht.
Jetzt hebelte Orlip mit seinen kräftigen Fühlern den Sargdeckel auf. Ich war entsetzt.
»Das war ein schlimmer Unfall, Orlip. Es wäre nicht gut für dich, sie so zu sehen.«
Aber er hörte nicht auf mich. Ich versuchte jetzt mit Körperkraft, ihn zurückzuhalten – seine Geschwister sahen bestürzt zu –, aber Orlip war zu stark. Ich blickte in sein verzerrtes Gesicht: Er hatte nichts von der Ebenmäßigkeit seiner Ka, nichts von ihrer Finesse. Kinder sind Monster, fremde Versionen unserer Selbst, und wir lieben sie so verbissen, wie sie uns voller Furcht betrauern. Mit einem lauten Krachen brach das Holz schließlich auf. Beide starrten wir hinein.
Eth war wiederhergestellt. Das Loch in ihrem Torso war nicht mehr da. Ihr Leib war ausgefüllt und gewaltig wie zu Lebzeiten, noch größer sogar. Und leuchtender, die verblassten Farben waren zurück. Ihr Saugrüssel schien geheilt zu sein, ihr Gesicht war sauber und schön und von dichtem Filz bedeckt, und die prächtigen goldenen Kugelaugen waren geöffnet und sahen uns an, jede Linse war einzeln lackiert und wirkte wie von innen erleuchtet. Auf wundersame Weise waren all ihre Zähne wieder ganz, und auf ihren Lippen lag ein geheimnisvolles Lächeln – ein Trick mit unsichtbaren Fäden.
Im linken Fühler hielt sie ihr blaues Herz, im rechten die Halskette aus ihren eigenen Eingeweiden: ein Körper, der den Körper besiegt hatte, ein Wesen jenseits von Furcht und Tod. Nippima hatte das gemacht, von ihren eigenen Ersparnissen.
Orlip sah mich an, der Mund stand ihm offen.
»Danke. Sie haben sie ja präpariert.«
Wir sind nur ein kleiner Planet, und wir müssen alle aufeinander aufpassen, Wesen und Fremde, Eltern und Kind, und die Kinder nicht weniger auf die Eltern.
»Sieht ganz so aus, Orlip.«
Wir einigten uns jetzt darauf, den überflüssigen Sarg wegzulassen, und sogar die Maschine. Wir legten sie auf das Gras und hielten eine schlichte Zeremonie ab. Orlip gab seiner Ka einen Tropfen Nektar in den
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