Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
können, sich auf die höhere Macht des Gesetzes zu berufen. Aber als er in mein ruhiges Gesicht sah, beschloss er, es für den Augenblick gut sein zu lassen.
»Dann reden Sie doch erst einmal mit mir, Thoren«, sagte er stattdessen. »Soweit ich weiß, haben Sie drei im Grand Royale zusammen gegessen?«
Jetzt zuckten meine Fühler – es ist schon beunruhigend, wenn man merkt, wie sehr man an einem scheinbar privaten Tag unter Beobachtung steht –, aber ich fasste mich schnell wieder.
»Ach, das ist der vermisste Junge? Oh je. Wir haben aber nur einen Nektar getrunken, nicht gegessen«, sagte ich, denn ich hielt Leugnen für zwecklos. Barhoeven ging jetzt wieder auf und ab, dann beugte er sich zu meinem Kellereingang hinab und atmete die Luft von dort unten ein.
»Einfach nur einen Becher Nektar. Ohne jeden Hintergedanken. Mein lieber Barhoeven, glauben Sie etwa, ich halte ihn da unten in meiner Werkstatt gefangen?«
Inspektor Barhoeven wandte sich zu mir und begann zu lachen, also lachte ich auch. Eine ganze Weile standen wir da und lachten.
Es fiel mir nicht leicht, Barhoevens Stimmung einzuschätzen. Seine Gefühle konnten schnell umschlagen seit dem Tod seines Weibchens, deren Leichnam Nippima damals selbst für die Trauerfeier präpariert hatte. Dieses Trauma bleibt uns Wesen zum Glück erspart – nach vielen gemeinsamen Jahren den Partner zu verlieren. Ich glaube, Nippima hat ihre Sache gut gemacht und die Zeremonie war Barhoeven ein Trost. Ihr handwerkliches Geschick war unübertrefflich: Sie hatte Sroots Pilznarben geglättet, ihren Leib aufgefüllt und in leuchtenden, jugendlichen Farbtönen angemalt, und aus ihren Organen hatte sie eine Kette gefertigt. Trotzdem macht man sich immer seine Gedanken wegen der Fremden. Verstehen sie unsere Rituale? Finden sie sie grotesk? Fühlen sie sich genügend mit einbezogen? Sroot war schließlich Barhoevens Partnerin, und er hätte die Verabschiedung auch auf Erdlingsart ausrichten lassen können. Aber er hatte ohnehin nie großen Wert darauf gelegt, an den Gepflogenheiten seines Heimatplaneten festzuhalten. »Barhoeven, vermisst du die Erde?«, fragte ich ihn bei der Trauerfeier, denn das hatte mich immer beschäftigt, und er antwortete: »Ich habe dort niemanden mehr.« Doch nun stand er da und hatte seine engste Vertraute hier bei uns verloren. Wer blieb ihm hier noch? Er hatte mich nicht davon überzeugen können, dass sich die Reise hierher für ihn gelohnt hatte.
Wie dem auch sei, ich schilderte Barhoeven meine Begegnung mit dem Erdling, er erklärte mir, unter welchen Umständen der Junge verschwunden war, und dann ging er und kündigte an, noch einmal wiederzukommen und mit Nippima zu sprechen.
Als mein Kind endlich aus seinem Zimmer kam, stellte ich es zur Rede. »Was hat sich zwischen dir und dem Erdling genau abgespielt?« Sie stand in einer Ecke der Küche und tupfte niedergeschlagen mit dem Fühler auf den Brei, den ich ihr gekocht hatte. »Inspektor Barhoeven war hier. Er sagt, der Junge wird vermisst.«
Ihr Mund öffnete sich, und ihr entfuhr ein kurzes Stöhnen.
»Weißt du irgendetwas? Hast du von ihm gehört? Sie suchen ihn überall. Sie wollen vielleicht sogar das Flussbett absuchen. Die Erdlinge haben sogar die Genehmigung beantragt, ein Fahrzeug zum Grund der Schlucht zu schicken. Weißt du irgendetwas, was ihnen bei der Suche helfen könnte?«
»Ich weiß von nichts, Ka«, sagte sie – zu meiner großen Erleichterung. Natürlich hegte ich keinerlei Verdacht gegen sie, aber in so eine Situation möchte man ja nicht einmal am Rande mit hineingezogen werden, zumal wenn Erdlinge im Spiel sind. »Wir haben beschlossen, uns nicht mehr zu treffen, seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
Sie hatte ein wenig von dem Brei gegessen und steckte jetzt wieder ihre Sonnenbrille ein. Sie hatte es eilig, wollte los.
»Wo willst du denn jetzt hin?«
»Raus.«
»Raus.«
Und damit war sie verschwunden.
Ein Kind erzählt seinem Ka nicht alles. Das gab es noch nie, und das wird es nie geben. Selbst wenn es einem alles sagen würde, würden wir dann verstehen, was es uns sagen will? Nippima ist ein Wesen von so außergewöhnlicher Intelligenz und Begabung, dass ich es nicht einmal ganz erfassen kann. So viel steht fest. Manchmal kommt es mir vor, als hätte ich selbst nur das Geringste mit ihrer Entstehung zu tun gehabt. Ich habe meine Partnerin befruchtet, und entstanden ist ein kleines weißes Ei, das zu diesem bemerkenswerten Geschöpf
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