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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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Erbauung? So viele Nachmittage stand ich in jenem fernen Stadtbezirk in der weitläufigen, heruntergekommenen Menagerie vor dem Elefantengehege, aß Karamellpopcorn, das jemand anders weggeworfen hatte, blickte ins Gehege und beobachtete mit wachem Auge das Schlagen der Schwänze und das Schlackern der Ohren, für den normalen Besucher bloß zufällige Zuckungen. Ich lauschte ihrem Hicksen, Knurren, Trompeten und Schreien und wusste, all das sind klare und gezielte Botschaften der Elefanten aneinander und (sachdienlicher noch) an mich – die ersten zarten Spitzen eines aufkeimenden Englafants. In zwanzig Jahren der Unsichtbarkeit entwickelten wir nach und nach unsere noch unfertige Sprache der beidseitigen Verzweiflung. Das war mein Trost, meine Zuflucht, mein wahres Leben neben meinem »echten« Leben. Und nur der Zoo hielt mich in Momenten tiefster Verzweiflung davon ab, mich dem Nichts und der Leere zu übergeben, ein Schicksal, das mir häufig unausweichlich schien.
Meine ungewöhnliche Familiengeschichte trieb mich unlängst zu eingehenden Recherchen zur Geschichte der Selbstauslöschung. Auf meine Erkenntnisse im Hinblick auf Elefanten beziehe ich mich in Fußnote 25 oben. Doch deren Geschichte ist nichts im Vergleich zur ergiebigen Chronik der menschlichen Selbstmorde. Auch wenn mir hier der Raum fehlt, um ins Detail zu gehen, erlauben Sie mir doch eine kurze Zusammenfassung meiner Erkenntnisse:

Eine kurze Geschichte der Selbstauslöschung

Der menschliche Suizid wurde 1492 mit den folgenden Worten von Romeo Montague erfunden: »Hier, hier will ich bleiben. Mit Würmern, so dir Dienerinnen sind. Oh, hier bau’ ich die ew’ge Ruh’statt mir, und schüttle von dem lebensmüden Leibe das Joch feindseliger Gestirne. – Augen, blickt euer Letztes! Arme, nehmt die letzte Umarmung! Und, o Lippen, ihr, die Tore des Odems, siegelt mit rechtmäß’gem Kusse den ewigen Vertrag dem Wuch’rer Tod!« Romeos bildschöner Hingang inspirierte zahllose Generationen Lebensüberdrüssiger und Desillusionierter, der Mühsal des Irdischen zu entfliehen, doch keinen auf so schöne Art und Weise. Nicht, dass sie es nicht versucht hätten: Nachdem Romeo den Anfang gemacht hatte, breitete sich in Italien eine Art Kult aus, die »Vereinigung für schöne Selbstmorde« entstand, und ihre Anhänger versuchten sich bei ihrer Selbstentleibung gegenseitig mit Geschichten voller Leid und Pathos zu übertrumpfen, eine sagenhafter als die andere, während sie sich in ihre offenen Dolche warfen oder an ihren Grünschnabelhälsen theatralisch von Florentiner Balkonen herabbaumelten. Sie töteten sich in der höchst fragwürdigen Hoffnung, der Selbstmord könne mehr als ein Akt der Verzweiflung oder eine feige Flucht aus einer unwirtlichen Welt sein, ein kreativer Akt, eine transzendente Geste des Lebens. Der Hund lag jedoch anderswo begraben: Nachdem Romeo es so unnachahmlich vorgemacht hatte, wirkte alles andere nur noch wie ein blasser Abklatsch. Es ging um Genialität und Schöpferkraft. Es war ein zweiter, kreativer Tod neben dem beabsichtigten eigentlichen Tod.
Mit der Zeit versuchten junge Männer und Frauen dieses Problem zu überwinden, indem sie, über bloße verbale Ergüsse hinaus, durch den Tod selbst verblüffen und inspirieren wollten: so wie die fünf jungen Männer, die angezündete Feuerwerkskörper schluckten – einfach blendend.
Marco Polo brachte die Kunde vom Selbstmord auf seinen Reisen in den Orient, und sie verbreitete sich wie venezianische Masern. In Indien nahmen Mystiker, Asketen und Seher die Herausforderung durch die jungen italienischen Liebenden an und trieben das Erhabene dabei bisweilen auf eine neue Stufe. Eine Frau durchbohrte sich die Zunge und die Brüste mit langen Nadeln und verblutete über ganze sechzehn Monate. Ein Mann strich sich mit Honig ein und setzte sich schweigend in ein Nest von Feuerameisen. Es dauerte sechzehn Stunden, und er schwoll an wie ein Kürbis. Wieder ein anderer kniete (jawohl!) vor dem Tempelelefanten nieder.
Das »Festival der schönen Selbstmorde« wurde zu einem jährlichen Ereignis, einer Maha Mela . Männer und Frauen schluckten Diamanten und schissen Blut, sie heuerten Chirurgen an, ihnen ein Stück Stacheldraht durchs Herz zu legen, dessen Ende sie an der Spitze des Tempelturms befestigten, bevor sie kopfüber in die Tiefe sprangen: das sogenannte »Herzfädeln«; sie kauften sich blutrünstige Hunde und klebten sich Hühnermägen an den Körper, sie schnallten sich

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