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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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an Drachen fest und hoben über Meeren ab, in denen es von Haien wimmelte.
Doch letzten Endes standen diese Selbstmordartisten dem Hauptwiderspruch eines schönen Todes ratlos gegenüber: nämlich, dass dessen kreative Umsetzung gleichzeitig seine Zerstörung bedeutete (oder bedeutete seine Zerstörung seine kreative Umsetzung?). Das ausführende Subjekt war gleichzeitig das Objekt der Vernichtung. Ein verpatzter Auftritt ließ sich ebenso wenig verbessern, wie es eine zweite Chance gab. Was war eigentlich überhaupt so schön am Tod?
Also begannen die Weitsichtigeren unter ihnen, die Sache umfassender zu betrachten. Konnte die Selbstvernichtung vollzogen werden, während man, zumindest rein technisch gesehen, noch am Leben war?
Die Antwort darauf lautete: mehr oder weniger. Der weise Babhuvallavar versuchte es als Erster. Vierundvierzig Jahre lang saß er vollkommen regungslos da – das war fast wie sterben, nur langweiliger, um ehrlich zu sein.
Ein Nebenzweig der »Schönen Selbstmorde« entwickelte das Konzept weiter und beschritt einen noch raffinierteren Weg der Selbstaufgabe. »Imitation ist Selbstmord«, hat jemand Berühmtes einmal gesagt, oder war ich das? Folglich machten sich die Anhänger dieser Schule quasi an die Perfektionierung und bewusste Umsetzung dessen, worauf die italienischen Nachahmer nur aus Einfallslosigkeit gestoßen waren. Angeworben als Jugendliche oder junge Erwachsene, richteten sie ihr Leben jeweils an dem eines anderen Menschen aus, studierten seine Gewohnheiten, übernahmen seine Verhaltensweisen, seine Kleidung und seine Art zu sprechen und gingen dann sogar so weit, jenen anderen umzubringen, um den Weg für die eigentliche Vorführung zu ebnen(ein schwieriger Moment, wie Sie sich sicher denken können – man beseitigt das Objekt seiner größten Aufmerksamkeit und Fürsorge). Der Selbstmörder wurde dann, so weit möglich, zu der anderen Person – übernahm deren Anstellung, schlief in deren Bett und reagierte auf deren Namen –, sodass er selbst nirgendwo mehr zu finden war. Diese reinste Form des »Selbstmordes« erforderte Jahrzehnte unglaublicher Bemühungen, und dennoch stieß sie sich an einer ganz zentralen Ironie: Verlief der Suizid erfolgreich, war er nicht mehr sichtbar. Andere bekamen nicht einmal etwas davon mit.
Aber er verlief selten erfolgreich. Im Streben nach dieser besonderen Form der Unsichtbarkeit löschte sich der Selbstmörder eigentlich nicht aus, sondern erlangte eine andere Form der Existenz; indem er sein Leben minutiös dem eines anderen gleichzumachen versuchte, musste der lebendig Selbstmord Begehende feststellen, dass er unweigerlich und immer wieder abwich, und jede noch so kleine Abweichung stand für das Besondere und Einzigartige im Leben des Akteurs. Genau das, was er hatte unsichtbar machen wollen, wurde jetzt betont, trat deutlicher und ausgeprägter hervor. Der Akt der Selbstvernichtung wurde zu einem (ziemlich sonderbaren) Akt der Selbstschöpfung. Mit anderen Worten: Niemand fiel darauf herein.
Nebenbei bemerkt, bitte halten Sie nichts hiervon für eine Verteidigung des Selbstmords. Der vorangegangene Satz, wenn auch ehrlich gemeint, ist zugleich eine Paraphrase meines lieben Charles Kinbote, in dessen Fußstapfen ich mit meinen Fußnoten selbstmörderisch trete. Denn auch wenn Nachahmung auf Selbstmord abzielen mag, beginnt sie oftmals aus Liebe.

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    Wenn die Menagerien des Silver Brothers Circus in der Stadt ankommen, spürt man zuallererst das Poltern – nicht das vertraute Gerumpel motorisierter Fahrzeuge, sondern eine langsamere, bedächtigere Abfolge von Erschütterungen –, die durch die Schuhsohlen in den Fußwurzelknochen geht und die Ferse hinauf weiter nach oben wandert, bis es einen im Oberarmknochen kitzelt und schließlich irgendwo tief in einem ist. In der Dunkelheit des Lincoln-Tunnels sieht man weit entfernt am anderen Ende einen Kreis aus Licht, ein Blick wie in ein fremdes Land. Plötzlich erlischt dieses Licht, und man bleibt mit dem Gefühl zurück, ein riesiges, unausweichliches Schwarz käme auf einen zu.
Und dann, wenn einen dieses Schwarz und das Beben in eine Art ehrfürchtige Trance versetzt hat, so als wäre man ins Innere des Erdballs gesteckt worden, brechen aus der Dunkelheit die hellen und dunklen Antlitze der gesamten Fauna der Welt hervor. Tiger, Strauße, Giraffen und Nashörner, Schwarzbären und Koalas, Eisbären und Grizzlybären, Gabelböcke, Präriehunde, Sittiche und Falken an

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