Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
uns ging und du als mutterloses, schwächliches Jungtier zurückbliebst, Koni, hätten wir niemals gedacht, dass du überhaupt zur Frau heranreifen würdest. Doch jetzt sieh dich an. Ohne deine tatkräftige Mithilfe würde diese Herde verhungern. Wir hätten nicht genug zu fressen für die Kälber. Wenn die anderen doch bloß so sein könnten wie du mit deinen achtzehn Jahren, entschlossen und geschmeidig. Du bist mutig. Manchmal auch ein bisschen tollkühn, und oft widersetzt du dich den Anweisungen der Älteren, aber diese unattraktiven Züge werden sich mit der Zeit geben. Ein Elefant muss vor allem stark sein – nur auf unsere Stärke können wir bauen –, und du bist stark. Wenn du lernst, deine Kraft in disziplinierte Bahnen zu lenken, Koni, dann werden dir nur wenige Tiere das Wasser reichen können.
KONI : Habt Dank, Amuta! Ohne Eure Güte wäre ich als Waise gestorben, unberührt und ungefüttert. Eure Fürsorge hat mich stark gemacht.
AMUTA : Wir sind Elefanten, Koni, und als solche sind wir alle miteinander verwandt. Wir haben dir keinen Gefallen getan, sondern nur unsere Pflicht erledigt, du solltest dich nicht bei uns bedanken. Wir freuen uns auf den Tag, an dem du dich paarst und für Nachkommenschaft sorgst.
KONI : Mit Bullen habe ich nichts zu schaffen, Mutter, und dabei möchte ich es gern belassen.
AMUTA : Wir werden sehen, wie lange du dich noch zierst. Aber lass dir eines gesagt sein: Wenn es noch sehr lange dauert, schicken wir dir den stärksten und hässlichsten Bullen, den wir finden können, damit er dich zu Boden drückt und dir ein Kalb macht. Deine Fortpflanzung liegt im Interesse der Herde. Mädchenhafte Keuschheit ist nur bei Kälbern reizend. Eine Frau muss frauliche Tugenden an den Tag legen. Und jetzt mach noch den letzten Rest Rinde ab, dann bringe ich diese Zweige hoch in unser Lager.
Abgang Amuta .
KONI : Warum musste sie ohne jeden Grund meine Vergangenheit zur Sprache bringen? »Als Ania von uns ging«, hat sie gesagt, und »du als schwächliches, mutterloses Jungtier zurückbliebst«. Ich habe fast den Eindruck, es macht ihr Spaß, immer wieder davon anzufangen. Das tut sie sehr oft, obwohl es mir jedes Mal die Schamesröte in die Ohren treibt, und ich frage mich jetzt, ob sie nicht genau das beabsichtigt. Auch jetzt noch, Jahre danach, spüre ich die Qual jener Zeit. Meine Mutter hat die Herde im Stich gelassen und ist einen sinnlosen Tod gestorben. Wenn es eine Sünde ist, die eigene Mutter zu verfluchen, dann bin ich der Hölle geweiht. Hätte mich diese senile Kuh doch nie geboren, wo ich nun auf ewig ihr Schandmal trage!
Ich kenne die Geschichten – wie meine alte Mutter, eine gütige und sanfte Leitkuh, zunehmend verwirrt und schwach geworden sei und nur noch den eigenen Bauch habe füllen können, und wie der Hunger und die Senilität sie schließlich allein in unsicheres Terrain getrieben hätten. Sie habe etwas von trockenheitsliebenden Wunderbäumen voller Früchte gefaselt und Amutas inständige Warnungen in den Wind geschlagen. Doch statt Bäumen und Früchten hat meine Mutter einen absurden und unnötigen Tod durch die Reißzähne eines herumstreifenden Tigers gefunden. Ich ging mit den anderen, um ihre Überreste zu betrauern. Schon von Weitem roch ich ihre Verwesung, ich schrie und versuchte zu fliehen, doch meine neue Mutter stieß mich vorwärts. Die Augen meiner leiblichen Mutter lagen herausgerissen neben ihrem Körper. In blankem Entsetzen starrten sie gen Himmel.
Dem, was mir von meiner Mutter dunkel in Erinnerung war, wollte ich immer so unähnlich sein, wie meine Muskeln und mein Verstand es mir erlaubten. In den letzten sechzehn Jahren verfolgte ich in allem einzig und allein das Ziel, mich vom Bild meiner Mutter abzugrenzen und mich in dem meiner neuen Mutter zu spiegeln. Amuta war immer gut zu mir und bevorzugte mich manchmal wie eine Blutsverwandte, und dass sie mir gewogen war, brachte mir das Ansehen der Gleichaltrigen ein. Es stimmt zwar, dass sie immer wieder meine Vergangenheit erwähnt und sie nie ganz aus dem Blickfeld geraten lässt. Aber vielleicht tut sie das ja zu meiner Erbauung. Sie war mir eine Mutter und noch mehr, sie gab mir ehrenwerte Eigenschaften mit auf den Weg. Warum werde ich aber nie ein gewisses Unbehagen los? Ja, ich hätte auch eine Prinzessin sein können, schließlich bin ich das Kind einer Königin. Aber da die Königin diesen Namen nicht verdient, sollte ich mich glücklich schätzen, stattdessen eine
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