Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
Kälbern in ihrem Alter ist es peinlich, mit ihrer Mutter gesehen zu werden, aber nicht Shanti. Sieh dir die beiden an, wie sie im Fluss dicht beieinanderstehen, wie Shanti ihrer Mutter den Rücken mit Schlamm bewirft, dort wo sie selbst nicht hinkommt. Wie dieser sanfte Ausdruck in ihre Augen tritt, wenn ihre Mutter sie berührt, dieser durch und durch dankbare und freudige Blick. Die mütterliche Berührung ist süßestes Vergnügen, unfassbares Glück. Umso süßer noch, wenn sie von einer sonst so strengen Kuh wie Amuta kommt. Bei aller Gunst, die Amuta mir erwies, hat sie mich doch nie in ähnlicher Weise berührt wie Shanti. Ihre Güte mir gegenüber ist in Wahrheit nur ein Bruchteil der Güte, die mir meine leibliche Mutter entgegengebracht hätte. Amuta hat mir zu Ansehen verholfen, doch das ist nichts im Vergleich zu dem Status, den ich gehabt hätte, wenn meine leibliche Mutter noch Königin wäre. Denn dann wäre ich jetzt die klare Nachfolgerin, und nicht die unbeholfene kleine Shanti, das arme Ding. Ich habe oft mit ihr gespielt, ihr beigebracht, wie man kleine Bäume fällt. Es ist eine Freude, sie heranwachsen zu sehen, aber die geborene Anführerin ist sie nicht. Sie ist ein gehorsames Kalb, anders als ich es als Kind war. Trotzdem liebt Amuta sie aufrichtig, und sie hat beste Aussichten, eines Tages die Herde zu leiten. Diese Logik ergibt keinen Sinn.
Doch was, wenn es stimmt, dass Shanti die Tochter einer Mörderin ist und ich die einer mutigen Königin? Das würde ihre Eigenschaften erklären, und meine ebenfalls. Das Herrschen wäre meine natürliche Bestimmung, und ich hätte zu Unrecht ein Leben in Schande geführt.
Nur der bittere Zufall macht uns zu Kindern unserer Mütter, wie kann ich also Shanti grollen, diesem naiven, schuldlosen Kalb? Und dennoch ist unsere Identität geprägt vom Leben unserer Mütter, wir müssen uns entweder auf ihre Seite oder gegen sie stellen. Wir sind in die Entscheidungen unserer Eltern verwickelt, ob wir wollen oder nicht. Shantis Vorrecht ist unverdient. Mein Kummer ist unverdient. Wenn wir uns von dem Bösen in unseren Eltern und seinen Auswirkungen distanzieren wollen, müssen wir dann nicht auch das Gute in ihnen unberücksichtigt lassen? Soll Shanti doch ihrer Mutter und dem Thron entsagen, soll sie doch mit mir darum kämpfen, sobald sie erwachsen ist. Oder aber ihre Mutter soll mir über all ihre Taten Rechenschaft ablegen. Soll sie doch Wiedergutmachung leisten, indem sie mich zu ihrer Nachfolgerin erklärt.
Tief im Inneren weiß ich: Der Tod meiner Mutter war nicht selbst verschuldet. Doch dieser Wahrheit ins Gesicht zu sehen, ist viel zu schmerzhaft. Jeder, den ich geliebt habe, wird in meinen Augen hässlich. Jede klare Elefanten-Erinnerung muss infrage gestellt werden. Jedes wohlgehütete Schamgefühl zeigt, wie fehlgeleitet es war, und plagt mich trotzdem im Gewissen, weil ich es empfunden habe. Ich sehe eine Welt, in der die Jungen keine Unschuld mehr besitzen und die Alten nicht mehr zwangsläufig Weisheit, in der unsere Anführerinnen keinen Respekt mehr verdienen und der Glaube an die Herde dahin ist.
Solches Wissen macht einsam. Ania, Mutter, wie ich dich vermisse! Ich erinnere mich an jedes Detail von dir, an all die Momente, in denen du meinen kleinen Körper liebevoll in deinem Rüssel gewiegt und mich mit dem gefüttert hast, was du in deinem Maul vorgekaut hattest. Die Erinnerung an deinen Geruch macht mich schwach vor Sehnsucht. Süße Mutter, niemals werde ich Vergebung finden für die vielen Male, die ich deine liebende Seele verflucht habe. Ich muss einen neuen Weg suchen, ganz auf mich selbst gestellt.
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Den massigen, vertrauten Kadaver meiner Großmutter in unserer Garage vorzufinden, an einem Kabel von der Leuchte baumelnd, war wohl eines der Ereignisse, die meinen Eintritt ins Mannesalter und schließlich in die Welt der Elefanten beschleunigt haben. Nach dem frühen Tod meiner Eltern wachte Nana Marina mit strenger Hand über mich, und das Leben war eine Art Hölle auf Erden, unterbrochen bloß von jenen kurzen Atempausen, wenn Onkel Gustav von seinen Auslandsreisen zurückkam und sich vorübergehend um mich kümmerte.
Nana Marina hasste Tiere, und ich hatte sie immer in Verdacht, die streunende Katze vergiftet zu haben, die ich heimlich auf der hinteren Veranda gefüttert hatte und die eines Morgens steif in ihrer eigenen Urinlache lag, die Zunge auf ewig in einem postmortalen Himbeerrot herausgestreckt. Nanas
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