Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
werde aus den Wänden gepumpt und jeder könne Amerikaner werden, so stand es im Gesetz, und genau das würde er werden. Und wenn er so redete auf seine selbstbewusste Art, dann fand Manju, dass er beinahe magisch wirkte. Erst als sie schon wochenlang miteinander ausgingen, merkte sie, dass Gopi gar kein Student war – dass er als Hilfskraft in einem Krankenhaus arbeitete und nur auf den Campus kam, um leichtgläubige Mädchen kennenzulernen. Aber da war es schon zu spät, sagte sie sich. Manju war verliebt.
Ihre Mutter war natürlich entsetzt. Selbst einige ihrer Freunde waren damals entsetzt. Manju sei schon immer ein schüchternes und anständiges Mädchen gewesen, meinten sie; die Letzte, von der man eine Liebesheirat erwartet hätte.
Doch das Erstaunen ihrer Freundinnen beruhte auf einem Missverständnis. Hätten sie genauer hingeschaut, hätten sie gesehen, dass sich hinter Manjus schüchterner Maske eine äußerst interessierte Beobachterin des anderen Geschlechts verbarg. Sie bemerkte die unscheinbaren, dünnen und dümmlich aussehenden Jungen, die in ihren Klassenzimmern saßen, und sie staunte selbst, dass sie sie begehrte. Sie wusste, dass die Antworten auf die Fragen ihrer Seele und ihres Körpers bei diesen Wesen mit den strähnigen Haaren zu finden waren, denn erst durch sie hatte sie bemerkt, dass diese Fragen existierten. Sie suchte in den Gesichtern ihrer verheirateten Cousinen nach irgendeinem Anzeichen der Veränderung, der ruhigen Zuversicht eines tieferen Wissens, der Erfüllung.
Und so heiratete sie Gopi, sie zogen bei seinen Eltern ein, und Gopi nahm eine Stelle als Verkäufer an, damit er Geld beiseitelegen konnte, und vier Jahre später löste er sein Versprechen ein und zog mit ihr nach Amerika. Etwa genauso lange dauerte es nach dem Umzug, bis er das Interesse an ihr verlor und sie das Vertrauen in ihn – vier Jahre.
Gopi war von Job zu Job gesprungen, den Kopf voller Pläne. Einmal bat er uns, ihm das Startkapital für die Eröffnung einer Franchise-Filiale von Big Boy zu leihen. Wenn wir ihm überhaupt etwas gaben, dann nur aus Freundschaft zu Manju, aber was aus dem Projekt wurde, erfuhren wir nie. Das konnte uns selbst Manju nicht sagen – Gopi erzählte ihr einfach nichts Näheres über seine Geschäfte.
Grenzenlose Begeisterung, gefolgt von kopflosen und lächerlichen Bemühungen und schließlich von Langweile und Aufgabe des Ganzen: Dieses Muster zeigte sich bei allem, was er anpackte, auch bei seiner Beziehung.
Das war also der weite Ozean in der Mitte der Ehe, dachte Manju. Das heimatliche Ufer war nicht mehr in Sicht, und was wie ein Versprechen für die Ewigkeit gewirkt hatte, wurde zu einer beängstigenden Endlosigkeit, zur erdrückenden Isolation zweier Seelen auf der Welt.
Für Gopi, der ganz in seinen eigenen Gedanken abgetaucht war, galt das Versprechen natürlich weiter und stand immer kurz davor, eingelöst zu werden. Die Möglichkeiten präsentierten sich auf dem Silbertablett, man brauchte nur zuzugreifen.
Gopi sagte dem Mann mit dem Ausschlag am Schienbein, er werde sich am nächsten Tag um ihn kümmern. Bis dahin hatte Gopi zu Hause seine Bibliotheksbücher konsultiert (die er alle zwei Wochen neu auslieh, das wollte er immer so weitermachen) und war letztlich zu dem Schluss gekommen, dass der Ausschlag entweder eine bakterielle Infektion oder eine Reaktion auf die Sonne war. Er schrieb ein gefälschtes Rezept für ein Antibiotikum zur lokalen Anwendung und empfahl darüber hinaus eine frei verkäufliche Salbe gegen den Juckreiz sowie ein Sonnenschutzmittel. Für diesen Rat berechnete er fünfunddreißig Dollar, wobei er betonte, das sei ein Sonderpreis für den allerersten Patienten der Praxis. Gopi schätzte, dass dieser Preis ungefähr der Hälfte von dem entsprach, was ein normaler Arzt von jemandem ohne Krankenversicherung verlangt hätte. Nach fünf Tagen war der Ausschlag verschwunden.
Bald beriet Gopi die Arbeiter bei einer ganzen Reihe von Wehwehchen, und sie begannen, ihn bei Freunden und Verwandten zu empfehlen. Weitere Patienten warb er an Bushaltestellen oder im Einkaufszentrum, bevorzugt Einwanderer, die offenbar erst vor Kurzem angekommen waren, und Inder, wenn wir vertrauenswürdig und noch nicht amerikanisiert wirkten. Er verwickelte den Betreffenden in ein Gespräch, um einen Eindruck von ihm zu bekommen, und überreichte ihm dann eine der Visitenkarten, die er hatte drucken lassen. Auf diese Weise brachte er sein Geschäft erstaunlich
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