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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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aus dem Laden für Arbeitsbekleidung, um den Hals das Stethoskop, das am Morgen in der Post gewesen war, und wie er es nun auf die Ohren setzte und sich seinen Herzschlag anhörte. Das Herz klang kräftig und klar, und Gopi war überglücklich, wie gut er das alles hinbekommen hatte. Dann tanzte er, nur für einen Moment. Später, als er an seinem Schreibtisch saß, setzte er sein Lausbubengrinsen auf. Dann war es still. In den Wänden regten sich keine seltsamen Wesen, niemand rief an. In der Stille hörte er wieder seinen Herzschlag, und für einen Moment sah sich der arme Mann wie aus der Ferne. Er sah sich so, wie wir ihn sehen, allein in seiner Praxis an einer kaum befahrenen Landstraße. Ein Arzt? Vielleicht hätte er doch lieber klein anfangen sollen, erst einmal von zu Hause aus praktizieren, seinen Freunden Medikamente verschreiben und ärztliche Bescheinigungen für ihre Kinder ausstellen. Aber selbst das kam ihm jetzt absurd vor. Seine Wangen begannen zu glühen, und ihm dämmerte, dass er einen riesigen und lächerlichen Fehler gemacht hatte.
    In seiner linken Schulter und in seinem Nacken entstand eine Anspannung, und Gopi redete sich ein, er müsse das Ganze so groß wie möglich aufziehen, damit die Leute ihm abnahmen, dass er Arzt war. Aber die Panik verging nicht, und Gopi musste jetzt dringend unter Menschen, deshalb trat er hinaus und gesellte sich zu den Männern auf dem Gehweg.
    »Guten Morgen, Sportsfreunde«, sagte er zu ihnen. Seine Hände steckten in den Taschen seines Laborkittels, das Stethoskop hatte er um den Hals gehängt.
    »Guten Morgen«, erwiderten sie seinen Gruß. Gopi erkannte Vicente und einige andere Männer, und als sie ihn jetzt in einem weißen Arztkittel sahen (er sah sicher ziemlich intelligent aus), sagte einer etwas auf Spanisch und ein anderer fragte: »Sind Sie der Arzt?«
    »Wir wussten gar nicht, dass Sie der Arzt sind«, fügte Vicente hinzu. »Wir dachten, Sie richten nur die Praxis her.«
    »Doch, ich bin der Arzt«, sagte Gopi.
    »Guten Morgen, Herr Doktor«, sagte Vicente lächelnd, und Gopis Anspannung löste sich.
    Dann krempelte Vicentes Freund seine Jeans hoch und zeigte Gopi einen Ausschlag auf dem Schienbein, hässliche schwarzweiße Beulen, und die Männer versammelten sich um ihn, um zu schauen. So kam Gopi Kumar alias Dr. Raju Gopalarajan zu seinen ersten Patienten.
    Wie so viele von uns wollte Gopi schon sein Leben lang Arzt werden. Wer ihn von früher kannte, von zu Hause, der weiß noch, dass er sich stets als Märtyrer betrachtete, weil er diesem Fach früh abgeschworen hatte, nachdem er mit ansehen musste, wie die beträchtlichen Schmiergelder an die Aufnahmekommission der medizinischen Fakultät die Familien von Freunden fast an den Bettelstab brachten. Wenn man ihn fragte, wie die Aufnahmeprüfung gelaufen sei, erzählte Gopi (der grottenschlecht abgeschnitten hatte) in stolzer Entrüstung, seine Punktzahl tue nichts zur Sache, weil er seinem Vater ohnehin niemals die Last und die Demütigung zumuten wolle, vor diesen Halsabschneidern kriechen zu müssen.
    Er ging vom College ab und arbeitete eine Zeit lang als Hilfskraft in einem Krankenhaus in Madras. Das sei doch keine Arbeit für einen Brahmanen, meinten manche, aber er war verrückt nach Krankenhäusern. Er fand sie aufregend. Wenn es um seine Aufgaben ging, musste er seinen Vater jedoch anlügen: blutige Verbände vom Boden aufheben oder die warmen, feuchten Teströhrchen mit den Urinproben anderer Leute von A nach B bringen. Bei den Ärzten war er nie sonderlich beliebt gewesen – er katzbuckelte nicht und sagte nicht »salaam« wie andere Hilfskräfte; selbst die niedersten Aufgaben übertrugen sie ihm nur ungern, und wenn sie es doch taten, verübelten sie ihm noch den geringsten Widerstand.
    Irgendwann in dieser Zeit lernte er Manju kennen. Gopi hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, in der Mittagspause in die Mensa seines ehemaligen Colleges zu gehen, wo er immer noch ein paar Freunde hatte, und sich dort mit den Mädchen zu unterhalten. Er kam gut an – imitierte verschiedene Professoren und plauderte wie ein alter Hase über die organisatorischen Abläufe im College. Und er prahlte damit, was für Stellen er später bekäme, was für einen Wagen und was für ein Motorrad er sich irgendwann kaufen und was für ein Leben er eines Tages in Amerika führen würde. Er erzählte, er habe einmal dort Urlaub gemacht: Die Fußböden seien mit weichen Teppichen ausgelegt, kalte und warme Luft

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