Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
dir?«
»Alles wie immer«, antwortete Gopi.
»Wirklich? Nichts Neues?«
Dilips durchdringender Blick und sein Tonfall kamen Gopi nun allmählich komisch vor. »Aber wie geht es dir denn, Dilip?«, fragte Gopi.
»Reden wir nicht über mich«, erwiderte Dilip. Er lächelte, nur ein klein wenig. »Du scheinst mir der weitaus Interessantere zu sein, Gopi.«
Im Tempel betrachtete Manju den jungen Krishna im Altar, den schwarzen Stein-Krishna mit den großen goldenen Augen und einem weisen Lächeln, der mit blutroten Lippen seine Flöte blies. Ein lieblicher, verspielter Krishna, ein schelmischer und übermütiger Krishna, und auf einmal, fand Manju, ein grausamer, spöttischer Krishna, der grinsend auf all das Elend sah, das er in seinen Launen ersonnen hatte.
»Krishna, Guruvayurappa«, betete Manju. Sie faltete die Hände, kniff die Augen zu und brachte die Worte als leises Wehklagen hervor, doch sie versuchte vergeblich, sich in jenen Rausch aus Vertrauen und Hingabe zu versetzen, in den sie an diesem Punkt manchmal geraten konnte.
Manju sah die anderen Leute im Tempel an, sie sah uns an, wie wir schwatzten und beteten, und es kam ihr in den Sinn, wie seltsam es doch war, dass wir uns verhielten, als wäre das alles völlig normal. Die Ärzte mochten ihr noch ein paar Monate gegeben haben, ein paar Wochen vielleicht, und jetzt sah sie uns an, als wären wir meilenweit weg.
Wir ahnten ja nicht, was sie gerade durchmachte – wir hörten aus ihrem Mund nie das Wort Krebs –, und sie hatte auch keinen Ehemann, dem sie vertrauen oder mit dem sie sprechen konnte, der die Last ihres Sterbens mittragen und ihre Einsamkeit lindern konnte. Sie war allein, schwebte weit über uns, und als sie sich wieder Lord Krishna zuwandte, tat sie es voller Traurigkeit, aber auch mit jener einsamen Wut, die sie belebte. Gibt es denn wirklich keine Hoffnung?, fragte sie ihn im Stillen. Mein Leben lang hast du mir nur gegeben, was du wolltest, und nicht, worum ich dich gebeten habe. Man könnte auch sagen, du warst nicht da und hast mir nicht zugehört. Gibt es irgendein Zeichen dafür, dass du noch bei mir bist, dass du es je warst? Dass du mich, nachdem ich dich mein ganzes sinnloses Leben lang so geliebt habe, nicht einfach dem Tod überlässt?
Deepika Shenoy war es schließlich, die die Geistesgegenwart besaß, leise neben Manju hinzutreten und ihr einen Arm um die Schulter zu legen, ihr etwas ins Ohr zu flüstern und ihre Tränen unauffällig mit einem Zipfel ihres eigenen grünen Seidensaris wegzuwischen. Sie ging mit Manju zur Essensausgabe im Speisesaal, sorgte dafür, dass sie von allem ein wenig bekam, und setzte sich mit ihr zusammen zu ihren Ehemännern, und zu diesem Zeitpunkt wirkte Manju wieder einigermaßen ruhig.
Wir fragen uns, ab wann es nicht mehr zu übersehen war, und vielleicht war genau das der Zeitpunkt. Gopi schaute von seinem Teller auf, dankbar für die neue Gesellschaft. Er begrüßte Deepika und machte ihr ein Kompliment für ihren Sari. Sie war schon immer Gopis absolute Traumfrau gewesen, das war peinlich offensichtlich. Die zauberhafte Deepika vor Augen, wünschte Gopi, Manju würde besser essen, öfter lächeln und etwas Schmuck tragen. Deepika lachte über eine Bemerkung von irgendjemandem und legte dabei die Hand auf ihren bebenden Busen. Bei dieser Geste wäre Gopi normalerweise schwindelig geworden vor Freude, doch jetzt konnte er sich nur ein mattes Lächeln abringen.
Dann versuchte sich Manju auf ihre Weise im Small Talk, aber wie üblich unterbrach sie ihr Mann.
»Jetzt nicht, Manju«, sagte er, denn Dilip hatte eine Visitenkarte aus der Brusttasche gezogen und redete jetzt, ohne überhaupt noch an die Frauen zu denken.
»Mein Neffe ist letztes Wochenende von College Station aus zu uns gefahren«, erzählte Dilip. »Ein fleißiger Junge, genau wie ich damals im Studium. Leute wie wir schinden sich jahrelang ab. Dumm von uns, nicht wahr? Er hat auf dem Heimweg an einer Tankstelle angehalten, und da hat ihm jemand diese Visitenkarte in die Hand gedrückt.« Dilip hielt jetzt inne und sah seinen Bekannten scharf an, aber Gopi blickte nur starr auf seinen Teller. »Jemand, der ihm sehr bekannt vorkam, hat ihm diese Karte gegeben«, wiederholte Dilip und streckte Gopi mit seinen knochigen Fingern die Visitenkarte entgegen.
Gopi rührte sie nicht an. Und Manju sah erst ihren Mann an und dann die Karte. Und schließlich nahm sie sie Dilip selbst aus der Hand.
»Dr. med. Raju Gopalarajan«, las
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