Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
Poornima gerade mit größter Akkuratesse ein Tablett mit Vorspeisen anrichtete: Bhajis, Chutney, Samosas und Murukkus. »Fertig. Nimm das hier, Tina«, sagte Poornima, reichte das Tablett ihrem Hausmädchen und wandte sich Savitri zu.
»Tut mir leid, ich bin spät dran«, sagte Savitri.
»Hallo, meine Liebe. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte Poornima. »Wo sind Ravi und Radha?«
»Die kommen nicht«, sagte Savitri. »Hatte ich dir nicht Bescheid gesagt?«
»Doch, doch. Unverzeihlich. Die werden noch von mir hören.«
»Ich hab dir noch nicht Bescheid gesagt.«
»Doch, hast du. Hier, nimm.« Poornima nahm ein Glas Wein von einem Tablett und reichte es Savitri.
Savitri trank es in einem Zug halb leer. »Ich hab dir noch nicht Bescheid gesagt«, wiederholte sie noch einmal. »Ravi ist tot.« So, dachte Savitri. Jetzt ist es raus. Das ist das Einfachste.
»Was?«, fragte Poornima. Genau in diesem Moment kam ihr Sohn in die Küche, mit einem Mädchen, das Savitri noch nie zuvor gesehen hatte.
»Hast du Tante Savitri schon begrüßt?«, fragte Poornima ihren Sohn.
»Ja«, antwortete Arun und deutete auf die junge Frau. »Das ist Nira.«
Savitri gab dem Mädchen die Hand und wollte sich wieder zu Poornima umdrehen, aber die war bereits zu anderen Gästen gegangen.
»Wie geht es Radha?«, fragte Arun.
»Gut«, antwortete Savitri. »Das heißt, ich weiß es nicht. Sie meint, sie will am College ein Jahr aussetzen und als Stewardess arbeiten. Die Welt sehen und alles.«
Poornima, die sich gerade in einer anderen Ecke unterhielt, drehte sich um und rief: »Nira studiert zusammen mit Arun in Harvard, beide Medizin. Ach, jetzt bringe ich sie in Verlegenheit. Tut mir leid.«
Savitri wandte sich dem Mädchen zu und musterte es. Größer als Radha, etwas schlanker. Hellere Haut. Offensichtlich intelligent, wahrscheinlich aus reichem Elternhaus. Ich sehe die Dinge, wie sie sind, dachte Savitri.
»Heiratest du dieses Mädchen?«, fragte sie Arun und entschuldigte sich gleich darauf. »Tut mir leid, das hätte ich nicht fragen sollen.«
»Ist schon in Ordnung, Tante«, entgegnete Arun diplomatisch.
»Weil ich mir immer gewünscht habe, du … na ja, ich fand immer, ihr wärt ein gutes Paar, du und meine Radha. Ihr seid zusammen aufgewachsen. Und ihr versteht euch. Es macht mir nichts aus, dass ihr keine Brahmanen seid. Man muss Kompromisse eingehen. Onkel Ravi hat das nicht verstanden, weißt du? Er konnte manchmal wirklich dumm sein, Arun. So dumm.« Savitri merkte, wie ihre Stimme zu versagen drohte. Sie hielt inne, um sich wieder zu fassen.
»Aber jetzt hast du ja dieses Mädchen, das ist schön für dich. Und Radha, na ja … Mehr kann ich für sie nicht tun, nicht wahr?«
Arun sah sie für einen Moment an und blinzelte. Dann lächelte er. »Ich glaube, meine Mutter braucht Hilfe in der Küche«, sagte er. Er nahm seine Freundin bei der Hand und ging.
Savitri stellte ihr leeres Weinglas ab und nahm sich von einem Tablett ein volles. Als sie sich umdrehte, um zu den anderen Gästen zu gehen, stieß sie beinahe mit Poornimas Mann Vasanth zusammen, der ein Glas Scotch in der zittrigen Hand hielt.
»Hallo, schöne Frau«, sagte er und strich sich mit der anderen Hand die geölten Locken aus dem Gesicht. Sein Haar war so dicht wie das eines Achtzehnjährigen und zu lang; es hing ihm bis über die Augenbrauen und kräuselte sich über seine Ohren. »Wo ist der Boss?«, fragte er. »Und die junge Dame? Oder besser gesagt, die jüngere Dame.«
»Die konnten beide nicht«, antwortete Savitri.
»Konnten nicht? Was soll denn das heißen? Muss sogar heute arbeiten, der Sklave. Hör mal, heute ist Thanksgiving, und er lässt seine Frau allein.« Vasanth lächelte. »Das sollte ihm mal jemand sagen .«
Wie war es wohl, fragte sich Savitri, seine Frau zu sein und sein Geld zu haben? Wünschte sich Poornima je, ihr Mann wäre tot? War das die Art von Leben, die sich Savitri ersehnt hatte?
Savitri hörte das Klimpern von Eiswürfeln in Gläsern und das unaufhörliche Geplapper winziger Dämonen überall um sie herum. Auf der Stelle bereute sie ihre Gedanken.
»Ach, wenn meine Frau doch nur so jung aussehen würde wie du«, sagte Vasanth mit einem breiten Grinsen. »Sie ist nicht nett zu mir, Savitri. Ich brauche nur den Mund aufzumachen, schon ernte ich böse Blicke.« Vasanth stand so dicht neben ihr, dass sie auf seiner Wange die feinen roten Schnitte vom Rasieren sah und seinen Geruch nach Haaröl,
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