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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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das Kind angeht. Wie gesagt, keiner der beiden stand offiziell unter Überwachung.
    Meine Eindrücke von 243-66328 habe ich in meinen Berichten detailliert geschildert. Er ist ein Mann mittleren Alters, etwa zweiundvierzig oder dreiundvierzig Jahre alt. Helle Haut, dunkelbraunes Haar, makellose Zähne. Etwa eins fünfundsiebzig groß, circa fünfundachtzig bis neunzig Kilo schwer, je nach Wochenform. Geheimratsecken. Eine Vorliebe für dunkle Kleidung: schwarze Anzüge, dunkelblaue Anzüge, Wollstoffe. Besaß ein braunes Tweed-Sakko. Seine Krawatten waren bunt – pink und rot. Ich vermute, er suchte sie nicht selbst aus. An manchen Tagen versuchte seine Frau noch an der Tür, ihm die Krawatte zurechtzurücken oder das Haar glatt zu streichen, wohingegen er selbst nie auf solche Feinheiten achtete, jedenfalls nicht auf dem kurzen Weg von der Tür zur Straßenecke. Und soweit ich das erkennen konnte, trug er stets dieselben schwarzen Schnürschuhe mit Oxford-Schnitt. Ich nehme an, seine Frau hatte in dieser Hinsicht kapituliert. Auch das ist jedoch reine Mutmaßung. Jedenfalls ist seine Kleiderwahl in meinen Berichten sorgfältig dokumentiert. Manchmal küssten sie sich, aber das war nicht unbedingt üblich.
    Er hatte eine Aktentasche bei sich, eine kleine schwarze Aktentasche. Sie war schon alt. Das Leder war sichtlich abgewetzt und verkratzt. Und er trug eine Brille. Dicke Gläser. Mit einem braunen Plastikgestell. Die Marke hieß Carleton. Außerdem hatte er einen leichten Akzent. Es fällt mir offen gestanden schwer zu sagen, was für ein Akzent es war, denn er redete nicht viel auf dem Weg von seinem Haus bis zum Zug. Manchmal drehte er sich um und rief seiner Frau etwas zu. Zum Beispiel: Bitte denk dran, meine Hemden abzuholen. Das sagte er regelmäßig, wenn er zur Tür hinauseilte. Von der Reinigung, meinte er wahrscheinlich. Oder: Ich liebe dich . Wenn seine Frau oder sein Kind dies zuerst gerufen hatten, antwortete er: Ich dich auch . All das ist fein säuberlich aufgezeichnet. Ich kann daher nur sagen, dass seine Sprachmelodie erkennbar anders war, doch es brächte mich in Bedrängnis, wenn ich sagen müsste, inwiefern anders. Es klang nach einer Fremdsprache, aber ob [zensiert] oder [zensiert] oder etwas anderes, weiß ich nicht genau, da ich das Modul zur Akzenterkennung nicht absolviert habe. Ich habe mich zwar darum beworben, aber meine Annahme wurde bis zu einer entsprechenden Empfehlung zurückgestellt.
    An der Straßenecke angelangt, drehte er sich oft noch einmal um und winkte seiner Frau zu – die immer mit dem Kind in der Tür stand und ihm nachsah –, bevor der Zug kam, er einstieg und verschwand.
    Ich weiß nicht, worum es bei den Ermittlungen über 243-66328 ging. »Der Agent versucht nicht zu verstehen, was er sieht« – Verhaltensmaßregel Nummer 2. Das ist Aufgabe des Analysten. Ich versuchte daher, nicht zu spekulieren. Jedenfalls nicht über die Tatsache hinaus, dass er offensichtlich etwas Schlimmes im Schilde führte. Ich glaubte das, weil die Behörde so sorgsam darauf bedacht war, die Ermittlungen zu segmentieren. Es galt die höchste Geheimhaltungsstufe. Die Informationen wurden streng aufgeteilt. Es sollte »nur das Nötigste« bekannt sein, und das betraf selbst Kleinigkeiten. Ich wusste kaum etwas. Das heißt, ich bekam die Weisung, mich auf meine Position zu begeben und die Zielperson zu observieren. Mehr sagte man mir nicht. All das brachte mich also zu der Einschätzung, es handle sich um eine recht bedeutende Ermittlung.
    Ich habe natürlich schon zahlreiche andere Fälle mit einem ähnlich hohen Geheimhaltungsgrad bearbeitet. Ich war sogar schon als Verbindungsfrau und Organisationsassistentin in Ermittlungen eingesetzt, bei denen ich genau genommen nicht einmal wusste, wer die jeweiligen Zielpersonen waren. Das heißt, ich fungierte in einigen Fällen gar nicht als Außendienstagentin, sondern war im [zensiert] stationiert und half bei der Einteilung der Außendienstagenten. Manchmal erfuhr ich nicht einmal die Nummern der Außendienstagenten oder der Zielpersonen, und schon gar nicht deren Namen. In einigen Fällen wusste ich nicht, wie die Zielpersonen aussahen, und hatte auch sonst keinerlei Informationen zu ihren Lebensumständen, nur reine Lokalkoordinaten. Wieder andere Fälle waren noch etwas anders gelagert. Keine Ermittlung glich der anderen. Theoretisch könnte es jeder gewesen sein. Wahrscheinlich hätte ich unwissentlich eine Ermittlung gegen jemanden leiten

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