Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
süßem Aftershave und Hochprozentigem wahrnahm. Sie war angewidert von seinem ölig feuchten Fleisch und vom Geruch seiner Mittelchen, und sie spürte eine schmerzhafte Sehnsucht nach der unscheinbaren, faden Vertrautheit ihres Mannes.
»Nein!«, sagte Savitri scharf und schüttelte den Kopf. »Ich will das nicht. Hast du mich verstanden?«, rief sie in den Raum.
»Häh?«, fragte Vasanth.
»Hast du mich verstanden?«, schrie Savitri.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ließ einen verwirrten Vasanth zurück, der mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen grübelte, wo der Witz an der Situation steckte. Savitri drängte sich zwischen den Gästen hindurch und suchte Poornima. Sie fand sie schließlich in der Küche. »Ich gehe«, sagte Savitri zu Poornima. »Mein Mann ist tot.«
»So ein Unsinn«, sagte Poornima. »Du kannst doch nicht gehen, bevor das Essen fertig ist. Ich muss Tina helfen.« Sie ging zu dem jungen Dienstmädchen, das sich über den Ofen beugte. Zusammen zogen die beiden Frauen einen glänzenden, honigbraunen Truthahn aus der Backröhre, mit roten Kartoffeln und grünen Bohnen drumherum. Vor Erstaunen lachte Savitri laut auf.
»Was hast du denn da gemacht?«, fragte Savitri. »Du bist doch Vegetarierin.«
»Ja, aber die Kinder nicht«, sagte Poornima. »Und Vasanth nicht. Und die Nairs und die Bannerjees auch nicht. Es ist Thanksgiving, Savitri. Tina hat mir beigebracht, wie man den Truthahn zubereitet. Na ja, eigentlich hat sie ihn fast allein gemacht. Tina!«, rief sie.
Tina brachte ein Tranchiermesser, und Poornima trat einen Schritt beiseite, damit die junge Frau den Truthahn ins Wohnzimmer tragen konnte.
Vasanth kam in die Küche und verkündete lallend: »Es ist Thanksgiving, aber wir haben keine Pilgerväter. Nur Indians , keine Amerikaner. Für Thanksgiving braucht man doch beides, oder etwa nicht? Amerikaner mit großen schwarzen Hüten.«
»Du trinkst zu viel«, sagte Poornima humorlos. »Und außerdem haben wir doch Tina.«
»Aber die ist schwarz!«, brüllte Vasanth. »Schwarze zählen nicht.« Tina warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts. »Schwarz ist anders«, fuhr Vasanth fort. »Hast du schon mal einen schwarzen Pilger gesehen? Tina gehört mit zu uns Indians .«
Arun trat vor und legte seinem Vater beschützend den Arm um die Schulter, und Vasanth schien schlaff und weich zu werden, augenblicklich beruhigt durch die Berührung seines Sohnes. Er sah zu Arun hoch, der ihn um einen halben Kopf überragte. »Warum seid ihr nicht die Amerikaner?«, fragte Vasanth mit ernstem Blick.
»Ich?«, fragte Arun.
»Ihr jungen Leute«, sagte Vasanth. »Die jungen Leute sind die Amerikaner, die Eltern die Indians .«
»Aber das stimmt so nicht, Dad«, erklärte Arun. »Ihr wart doch schließlich die Einwanderer, deshalb müsst ihr die Pilger sein. Wir sind hier geboren, wir sind die Indians .«
»Von hinten!«, sagte Vasanth lachend. »Mein Sohn zäumt das Pferd von hinten auf! Der clevere Bursche.« Vasanth drückte Arun mit einer Hand die Wangen zusammen, bis sich die Lippen des Jungen spitzten. Arun nahm es freundlich auf.
»Los, ihr Lieben, kommt alle ins Esszimmer. Wir zerteilen den Truthahn. Entschuldigung, wir tranchieren den Truthahn, tranchieren«, rief Poornima ins Wohnzimmer, und die Gäste gingen auf sie zu. Savitri folgte ihnen, und in dem spiegelverkleideten Esszimmer betrachtete sie das Abbild ihres Volkes, der herausgeputzten und strahlenden Ehepaare, Eltern und Kinder. Feinde saßen einträchtig nebeneinander um einen festlich gedeckten Tisch. Poornima, deren Hand von Tina geführt wurde, erhob das Tranchiermesser.
Savitri wandte sich an die Frau neben ihr, eine flüchtige Bekannte, die sie ein paar Mal im Tempel getroffen hatte.
»Mein Mann ist tot«, sagte Savitri.
»Was?«, stieß die Frau hervor.
»Mein Mann ist tot. Ich glaube, ich habe ihn umgebracht, unabsichtlich. Das heißt, ich weiß nicht genau, ob absichtlich oder unabsichtlich.«
»Was erzählen Sie denn da?«, fragte die Frau, und die Verwirrung in ihrem Blick wich dem blanken Entsetzen. Sie rückte ein Stück ab, weg von Savitri und weiter zu den anderen Gästen.
Savitri versuchte, sich zu erklären. »Ich habe ihn umgebracht, und er liegt auf dem Boden. Ich habe ihn umgebracht, wissen Sie!« Das Reden und Lachen der versammelten Gäste im Raum verstummte. Poornima sah hoch, das Messer unbeweglich und das Lächeln erstarrt. Die Gäste mit ihren leeren Tellern in der Hand drehten
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