Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
hat.
Das versuche ich mir von ihr abzuschauen. Diese letzten beiden Jahre mit Nirmala – nun gegen Ende meines Lebens – sind wie ein Neuanfang.
»Nirmala«, sage ich zu ihr, als wir am frühen Abend zurück im Hotel sind, »nach den Interviews isst Jogesh mit seinem Verleiher zu Mittag. Das wird dauern. Warum kommst du nicht mit zu mir aufs Zimmer?« In der Einsamkeit des Hotelflurs hake ich mich mit dem Finger in einen ihrer goldenen Armreifen ein.
Mrs Sen stammt aus einer guten und kultivierten Familie; sie ist gebildet, hat einen erlesenen Geschmack und normale Wertvorstellungen. Es rührt mich, dass eine solche Frau auch nur im Traum daran denkt, meinetwegen die geregelten Bahnen des ehelichen Lebens zu verlassen. Doch über ihr Engelsgesicht huscht ein Zögern. Sie sieht auf die Uhr, dann in den Gang. Wie eine der einsamen Hausfrauen, die Jogesh in mehreren seiner frühen Filme so einfühlsam porträtiert hat, kämpft Mrs Sen täglich gegen ihr Unglück an, auch wenn sich der Lebenskreis allmählich schließt.
»Das klingt ganz wunderbar«, seufzt Nirmala Sen schließlich, als wäre ich der Mann mit dem Mikrofon vorn im Bus, der sie drängt, nach unten zu kommen und den Ausblick auf irgendeine Brücke oder ein Glasgebäude zu bewundern. Sie betrachtet eingehend die Tapete und lässt dabei ihre weiche Schulter gegen meine sinken, und mein Herz sprüht über vor Glückseligkeit. Selbst nach zwei Jahren bin ich jedes Mal überglücklich, wenn sie meine Umarmung zulässt.
Man kann die Liebe erst mit über sechzig richtig genießen. Zu dieser Erkenntnis bin ich vor Kurzem gekommen. Narren mit Zwanzig scharwenzeln um knackige Mädchen ohne Hirn und Erfahrung herum; und auch ich war einmal ein solcher Narr und zahlte sogar gutes Geld, um mir Prostituierte zu Willen zu machen. Meine Frau – ja, sie war hübsch, auf dem Foto, aber wir hatten keine Vorstellung davon, wie wir einander befriedigen könnten. Wir gewöhnten uns mit der Zeit an die Verbitterung des anderen – und ich machte sogar ihre gealterte Haut hierfür verantwortlich.
Wie irrig von mir. Sehen Sie – ich kann Nirmalas erschlaffenden Gliedern, den gerundeten Weiten und den gerippten Oberflächen nicht widerstehen. Wie lechze ich danach, mit gleichaltrigem Fleisch niederzusinken! Ich weiß nicht, wie jemand das nicht wollen könnte. Überlassen wir sie den jungen Hüpfern, die Schmalen, Glatten und Austauschbaren.
Unter einer Voraussetzung: Der alte Mensch muss jemand sein, in den ich von ganzer Seele verliebt bin.
»In zwei Tagen«, erinnere ich Nirmala später am Abend. »In zwei Tagen brauchen wir uns nicht mehr zu verstecken und umeinander herumzuschleichen.«
Nirmala wickelt sich eilig wieder in ihren roten Sari und schließt vorsichtig ihre Diamantohrringe. Sie kämmt ihr dünnes, weißes Haar und steckt es hoch, dann bessert sie im Spiegel ihr Make-up nach.
In zwei Tagen treffe ich mich mit Mr Jefferson Bundy. Der Filmproduzent Mr Jefferson Bundy, der in Hollywood arbeitet, fliegt am Samstag von Kalifornien aus quer durch Amerika, um sich mit mir zu treffen. Heimlich, still und leise habe ich im Laufe der letzten beiden Jahre ein Drehbuch geschrieben, rein aus Liebhaberei, das Mr Jefferson Bundy mit seinem wunderbaren Namen offenbar gelesen und für gut befunden hat. Ich wollte schon mein Leben lang ein Drehbuch schreiben, doch erst Nirmala gab mir den Anstoß und den Mut dazu. Es ist eine klassische Liebesgeschichte: ein Dreiecksverhältnis. Vorausgesetzt, Jefferson Bundy sagt mir die Finanzierung zu, werde ich für mein Auskommen fortan nicht mehr von Jogesh abhängig sein, und Nirmala und ich können uns endlich zu unserer Liebe bekennen. Ich werde selbstständiger Filmemacher hier in den USA sein, alles dank Jefferson Bundy. Mr Jefferson Bundy: Wie gern sage ich doch diesen dynamischen Namen, immer und immer wieder; in ihm könnte unsere Zukunft liegen, unsere pralle amerikanische Zukunft.
Jetzt sieht Nirmala mich an. »Aber wer weiß, was er sagt?«, fragt sie, einen besorgten Unterton in der Stimme. »Vielleicht etwas Entmutigendes.«
»Bitte sei unbesorgt, Nirmala. Alle Zeichen deuten in die andere Richtung.«
Ich lehne mich im Bett zurück und drücke auf die Fernbedienung – es läuft Wylers The Little Foxes : was für eigenartige Rasierspiegel, und was für außergewöhnliche, sorgsam ausgewählte Requisiten.
Bevor sie zur Tür hinausgeht, drückt Nirmala das Auge an den Spion und murmelt ein kurzes Gebet.
»Komm
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