Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
natürlich erstellte ich die Storyboards, die er in den Händen hielt, als er Anant Anweisungen für den jeweiligen Bildaufbau gab. Wenn man so will, erschuf ich die visuelle Welt, durch die Jogeshs Kameramann sein Objektiv schwenkte.
Und Jogeshs besondere Fähigkeit? Er lenkte und manipulierte Menschen – ein Regisseur, wie er im Buche steht. Wie er reden konnte! So überzeugend, dass jeder in der Crew glaubte, er oder sie sei das entscheidende Glied bei einem großen Vorhaben.
Jogesh kündigte seine Stelle in der Behörde, um diesen Film zu drehen, etwa zwei Jahre nachdem er dort angefangen hatte. Er trat einfach neben meine Staffelei und sagte mir unumwunden: »Ich habe die Kündigung eingereicht, und dir rate ich das Gleiche. Die Finanzierung steht, Bibhutibhushan. In zwölf Wochen geht es los, dann verfilmen wir mein Drehbuch.«
Ich war so berauscht, dass es mir die Sprache verschlug. Wer, wenn nicht Jogesh, hätte mich auch nur auf den Gedanken bringen können, meinen komfortablen Job aufzugeben und mir den Zorn meiner Mutter und meiner frischgebackenen Ehefrau zuzuziehen – beide hatten ein scharfes Mundwerk.
»Ach, sag bloß! Und wo hast du das Geld her, guter Freund?«, fragte ich und lachte.
Da zeigt er mir ein kleines quadratisches Foto von einem Mädchen mit großen Augen und glatter Haut, das selbst in seinen jungen Jahren schon weise und matt in die Kamera blickte.
»Ihre Mutter und meine spielen sonntags zusammen Bridge. Unsere Horoskope ergänzen sich perfekt. Und ihr Vater – so viel darf ich Glückspilz dir verraten –, ihr Vater ist steinreich.«
Dass Jogesh um des Geldes willen heiratete, war nicht das Schockierendste; die wenigsten von uns heirateten aus Liebe. Auf ihre stille Art bestürzte mich jedoch Nirmala selbst. Bei der Hochzeit im Winter, während der Priester seine Gebete abspulte und Nirmala von Verwandten gesalbt wurde, während die Berühmtheiten aus Kalkuttas Gesellschaft nacheinander ihre nichtssagenden Segenssprüche vortrugen, blieb dieses fremde Mädchen ruhig und in sich gekehrt; weder beeindruckt noch eingeschüchtert, ließ es sich nicht im Geringsten von jenem Strudel der Überheblichkeit erfassen, sondern wiegte bloß den Kopf und lächelte wie erforderlich. Ihr Gesicht, rundlich und süß, war kaum der Kindheit entwachsen, aber ihre Augen glichen denen des 3-D-Jesus auf dem Armaturenbrett im Wagen unseres Tontechnikers Mr George – mitleidsvolle und wissende Augen, aus denen die traurige Weisheit von zweitausend Jahren leuchtet und die einem auf geheimnisvolle Weise folgen, selbst wenn man nach links tritt oder nach rechts.
In der Schlange vor dem Empfang machte ich ein lockeres Witzchen über all die herausgeputzten Babus, und nicht einmal Jogesh oder meine Frau bekamen es mit. Doch über Nirmalas Lippen huschte ein wissendes Lächeln, eine kurze Vertrautheit zwischen ihr und mir. Obwohl sie schwieg, gab es von diesem Moment an eine Verbindung zwischen uns beiden. Ich wäre nicht so anmaßend gewesen, es Liebe zu nennen, doch genau das war es im Grunde. Und von da an riss ich mir bei Anlässen und Feiern oder wenn ich einmal bei Jogesh zu Hause war immer ein Bein aus, um die einsame Nirmala zu unterhalten; ich fragte sie, was für eine Zeitschrift sie gerade las, und machte irgendeinen kleinen Scherz, der ihr ein Lächeln entlockte. Es langweilte einen Geist wie ihren, so ohne jede Beschäftigung in einem Haus voller Dienstpersonal zu sitzen. Wie konnte Jogesh bloß so gedankenverloren sein, diesen Schatz zu verkennen? Wenn sie uns am Set besuchte, in der permanenten Anspannung zwischen all den ernsten und geschäftigen Menschen, kam sie jedes Mal zu mir, denn ich nahm mir immer etwas Zeit für sie, und wir machten ein paar sarkastische Bemerkungen über das ernsthafte Treiben.
»Komm, Bibhuti-bhai, heitere mich ein bisschen auf. Erzähl mir einen Witz«, bat sie mich dann und brachte mein begieriges Herz zum Schmelzen. Ich verstellte die Stimme oder zeichnete irgendetwas Lustiges: Nirmalas Kopf auf einem Schwanenkörper, Jogeshs aalglattes Gesicht auf einem Pfau oder einem Wolf. Ihr dieses zufriedene Kichern zu entlocken, war für mich das größte Vergnügen des Tages. Sie war mein perfektes Publikum.
Solche Zerstreuungen waren Jogesh nur recht, nahmen sie doch einigen Druck von ihm, sodass er sich ganz seiner Arbeit widmen konnte – das heißt, der schönen und mondänen Schauspielerin, die gerade am Set war.
»Was hat er ihr denn so Ernstes zu
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