Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
Arbeit, die Richtigkeit meiner gestalterischen Entscheidungen, die aus den entzückten Blicken der Zuschauer um mich herum spricht. Beim Abspann bekommen wir zweimal Standing Ovations.
Bei der anschließenden Fragerunde meldet sich ein keuchender Herr zu Wort: »Mr Sen, wie hat Ihnen New York gefallen?« Jogesh nimmt das Mikrofon. »Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, die Stadt richtig zu genießen«, sagt er schmunzelnd in seiner besten Oxbridge-Imitation; vor westlichem Publikum spricht er immer mit diesem Akzent. »Wissen Sie, ich habe immer so viel um die Ohren in New York.« Er meint das wohl in mehrerer Hinsicht, denn ganz hinten im Publikum entdecke ich schließlich die besagte Schauspielerin aus Mumbai. Hoch gewachsen und schmalnasig sitzt sie inmitten einer Gruppe von Männern mit Leinenschals und gepflegten Stoppelbärten.
Beim anschließenden Cocktailempfang mustert Nirmala die Schauspielerin. »Ob ich vielleicht die ganze Zeit Gespenster gesehen habe?«, fragt sie mich und zwirbelt dabei mit beiden Händen eine Ecke ihres Dupatta. »Vielleicht ist sie ja nur gekommen, um Werbung für ihren Film zu machen.«
»Gespenster?«, frage ich. Ich reiche Nirmala einen der beiden Drinks, für die ich lange angestanden habe, Gin mit einem Spritzer Tonic und dazu ein Schuss Zitronensaft, eigenhändig von mir aus einem Zitronenschnitz ausgepresst.
Aus irgendeinem Grund ärgert mich diese Frage – diese Naivität. »Ach komm, Nirmala. Jetzt tun sie ganz unschuldig, vermeiden vertraute Gespräche, aber doch nur, weil du da bist.«
»Ach, aber sie ist ja so hübsch!«, ruft Nirmala, und ihre lieblichen Züge – von Fältchen überzogen wie eine feine Batikarbeit – verhärten sich vor Kummer.
»Aber was ändert das denn für uns, mein Schatz?«, flüstere ich, und meine Lippen sind gefährlich nahe an ihren. »Die wahre Schönheit im Raum bist du, und dieses tänzelnde Mädchen kann uns nicht das kleinste Stück von unserem Glück nehmen.«
Meine Worte scheinen sie zu beruhigen. Nirmala wiegt zustimmend den Kopf und blinzelt ihre Tränen weg, und dann (Deborah Kerr, Die große Liebe meines Lebens !) tritt sie zu unser beider Schutz ein Stück von mir weg.
»Ich will hier weg«, flüstert sie. Ohne Jacke gehen wir hinaus in den stürmischen Wind auf der großen Lincoln Center Plaza. Die beleuchtete Fontäne des zauberhaften Springbrunnens steigt immer höher und besprüht uns mit eiskaltem Nebel. Nirmala klammert sich fester an meinen Arm, und ich ziehe sie zu mir heran.
»Da drüben«, sage ich und zeige in den fernen Westen. »Da werden wir wohnen, wenn ich meinen Film drehe. Mein Cousin hat ein Apartment in Jersey City. Das vermietet er mir dann.«
»Ist es schön da?«
»Wunderschön, Nirmala. Man hat einen Blick über ganz Manhattan.« Sie beugt sich gespannt zu mir herüber und will mehr hören, also erzähle ich weiter. »Es liegt in der 30. Etage. Man kann von der Freiheitsstatue bis zum Empire State Building sehen. Nachts funkelt die ganze Stadt, heller als die Sterne. Wir können im Bett liegen und sie uns ansehen.«
»Es ist doch hoffentlich auch Platz für Sharmila?«
Sharmila ist ihre Bedienstete, ihre Köchin. Leicht verwirrt sehe ich sie an – macht sie Witze? »So etwas hat man in diesem Land nicht. Jedenfalls nicht, bevor wir in eine größere Wohnung umziehen.«
»Und was ist mit Chapati?« – ihr Hund.
Betrübt schüttele ich den Kopf. »Haustiere sind in dem Gebäude nicht erlaubt.«
Sie fixiert mich für einen Moment, will etwas sagen, sieht dann aber schnell weg. Sie zeigt auf das Gebäude des Lincoln Center, das vor uns aufragt. Durch die riesigen Fenster scheinen große Wandbilder hindurch.
»Herrlich«, seufzt sie.
»Marc Chagall.«
Auf den Gemälden wirbeln Engel und Dorfbewohner in die Lüfte, reiten auf Vögeln zu den Sternen, von jeder Last befreit.
»Als flögen sie in einen anderen Teil der Erde«, sage ich.
»Als hätten sie gar nicht den Wunsch, mit der Erde verbunden zu sein«, stellt Nirmala fest.
4
Nach dem großen Erfolg von Calcutta Nights damals vor vielen Jahren begann für uns alle ein neues Leben. Stolz nannte man Jogeshs Namen in einem Atemzug mit denen von großen bengalischen Künstlern: Rabindranath, Satyajit, Jogesh. War das gerechtfertigt? Mich kümmerte das nicht: Ich genoss die Früchte davon. »Auch wenn wir spüren, dass die internationale Wirtschaft uns hinausdrängen will, gibt uns Mr Sen die Hoffnung, dass Indien und insbesondere
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