Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
sagen?«, fragte mich Nirmala dann.
»Er gibt ihr nur Anweisungen, dreh dich hierhin oder dorthin, sprich lauter und so weiter.«
»Er braucht aber lange für so simple Anweisungen, findest du nicht? Muss er sie denn so anfassen, damit sie weiß, wie sie sich bewegen soll?« Jogesh beugte sich über die Schauspielerin, flüsterte lebhaft auf sie ein und hielt dann inne und hörte zu. Nahm ihre Arme und führte sie vorsichtig wie die einer Puppe.
»Da hast du recht. Wir könnten alle längst beim Abendessen sitzen, wenn er nicht so ein Trara um die Schauspielerinnen machen würde. Eitle Dinger, sie nehmen einen die ganze Zeit in Beschlag, wenn man sie lässt. Sieh mal: mein Kopf auf einem schaukelnden Affen!«
»Was?«
»Ein Affe, der an einem Baum schaukelt. Er springt gleich ins Wasser zu dem unergründlichen Schwan.«
»Sieht überhaupt nicht aus wie ein Affe.«
»Doch, und ob!«
»Chup. Schluss mit dem Unsinn«, sagte sie, lächelte aber trotzdem. »Das ist nicht lustig.«
In all den Jahren waren wir nie untreu. Wir waren nie hinterhältig. Zwischen jemandem wie der Schwanen-Nirmala und jemandem wie Bibhutibhushan Mallik hätte sich damals einfach nichts abspielen können, selbst wenn wir einander als Unverheiratete kennengelernt hätten. Wie uns unsere einheimischen Filme immer wieder in Erinnerung rufen, ist das die Tragik unseres indischen Systems.
Es sollte über dreißig Jahre dauern. Meine Söhne würden bereits erwachsen sein und dank meiner Kontakte bei Filmsets in Kalkutta arbeiten: der eine als Skript-Leiter, der andere als Kameramann. Meine eigene Ehe würde sich vollends zu einem reizlosen und rein praktischen Arrangement entwickelt haben, das jeder Sinnlichkeit entbehrte. Wir alle würden alte Leute geworden sein. Und Nirmala würde, während Jogesh unterwegs war, zu Hause am Computer sein Postfach offen vorgefunden und darin die zärtliche und vertraute Nachricht einer Schauspielerin aus Mumbai entdeckt haben: endlich der handfeste Beweis. Und erst dann würde sie mich zu sich nach Hause einladen und mir unter zornigen Tränen in die Arme fallen.
»Oh Gott!«, schrie sie, zerkratzte sich mit den Nägeln die Arme und raufte sich die Haare. »Wie konnte er so etwas nur tun?«
»Aaa-uuu-a, Vorsicht, Vorsicht«, gurrte ich, hielt ihr sachte die Arme fest und zog sie an meine Brust – wo sie schmolz, wo sie schmolz.
»Ich bringe ihn um!«, jammerte sie. »Ich will ihm auch so viel Schmerz zufügen.« Geduldig wischte ich ihr die Tränen weg und küsste ihr Haar – zuerst so, wie ein Bruder sie küssen würde, und dann … dann fand unsere Liebe, die schon so lange wartete, vor unseren Augen endlich ihr Tor und kam aufs Schönste ans Licht. Unsere Kinder waren erwachsen; wir konnten endlich tun, was wir wollten, zum Teufel mit der Gesellschaft.
Natürlich behielten wir es erst einmal für uns, denn wie konnte ich meine Liebe zu Jogeshs Frau öffentlich machen, wo doch mein Auskommen von Jogesh abhing und wir außerdem im kleingeistigen und klüngelhaften Kalkutta lebten? Wir trafen uns monatlich, wöchentlich, wann immer wir ein freies Wochenende, einen Nachmittag für uns finden konnten. Nirmalas Zorn auf Jogesh hatte eine heftige Leidenschaft entfesselt, die sie sich nie zuvor eingestanden hatte, während ich in ihr wahre Universen achtsamer Zärtlichkeit entdeckte. Nirmala kochte mir Tee und erkundigte sich nach meinem Befinden, und dann glitt der Blick ihrer großen, wässrigen Augen ins Leere, verloren und ängstlich. Dieser Blick war der Vorbote der Liebe, wie ich später erfahren würde. Wenn wir unser Verlangen nacheinander gestillt hatten, zogen wir uns schüchtern wieder an. Sie bot mir noch einmal Tee an und Süßigkeiten. Dann strich sie mir das Hemd glatt, wickelte die Süßigkeiten ein und drückte sie mir in die Hand (für die lange Fahrt). Sie brachte mich zur Tür und schloss sie erst, wenn ich um die Ecke ging, um mir ein Taxi zu nehmen.
3
Die Premiere im Lincoln Center am Abend ist eine Galaveranstaltung und lockt ganze sechshundert Zuschauer in den Saal. Im Publikum entdecke ich einige amerikanische Schauspieler, die ich aus den Kinosälen in meiner Kindheit kenne (da, Eli Wallach! Und niemand erkennt ihn!), und gleich scheint mein Magen ein Stück tiefer zu sacken; selbst nach so vielen Filmen und Festivals lässt die Aufregung in solchen Momenten nie nach. Während der Film läuft, habe ich ein zufriedenes Leuchten in den Augen, denn ich sehe das Ergebnis meiner
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