Ich bin kein Serienkiller
verzog sich in den Schatten.
Allmählich löste sich der Mob wieder auf, aber wie lange würde es ruhig bleiben?
Es dauerte nur ein paar Tage, bis die neuen DNASpuren ausgewertet waren. Greg Olson war nun weitgehend entlastet, was die Polizei ausführlich in den Nachrichten verkündete, um Mrs Olson und ihrem Kind ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen. Natürlich hatten die Polizisten den Schnee am Tatort untersucht und das Blut gefunden, das mit ziemlicher Sicherheit von Olson selbst stammte. Nach einem so großen Blutverlust musste man ihn nun eher als Opfer betrachten. Es gab Gerüchte über weitere Reifenspuren und Kugeln, die abgefeuert, aber nicht gefunden worden waren. Vor allem aber hatte man DNASpuren gefunden, die zu der geheimnisvollen schwarzen Substanz passten – nur dass es dieses Mal kein schwarzer Kleister, sondern verschmiertes Blut im Innern des Streifenwagens war. Dies bedeutete, dass sich mindestens vier und nicht nur drei Menschen am Tatort aufgehalten hatten, und die Fachleute vom FBI waren sicher, dass die vierte Person und nicht etwa Greg Olson der Mörder war.
Natürlich stellten einige Leute Vermutungen an, es habe noch einen fünften Beteiligten gegeben.
»Du wirkst heute so verändert«, sagte Dr. Neblin. Es war Donnerstag, der Tag unserer wöchentlichen Sitzung. Ich hatte vor fünf Tagen mein Regelwerk zerstört.
»Was meinen Sie damit?«
»Nichts weiter«, lenkte er ein. »Du kommst mir nur … irgendwie verändert vor. Gibt es etwas Neues?«
»Das fragen Sie mich immer, wenn jemand gestorben ist«, antwortete ich.
»Du bist immer ein wenig verändert, wenn jemand gestorben ist«, erwiderte Neblin. »Was glaubst du denn, was es diesmal ist?«
»Ich versuche, mich nicht beeinflussen zu lassen«, erwiderte ich. »Sie wissen ja, die Regeln und so weiter. Was halten Sie denn davon?«
Neblin zögerte kurz, ehe er antwortete.
»Deine Regeln haben dich bisher nie davon abgehalten, über die Morde nachzudenken«, sagte er. »Wir haben ja schon öfter darüber gesprochen.«
Das war ein dummer Fehler. Ich tat so, als befolgte ich noch meine Regeln, aber anscheinend gelang es mir nicht sonderlich gut. »Ich weiß nicht, es … es scheint jetzt anders zu sein. Meinen Sie nicht auch?«
»Aber ganz sicher«, stimmte Dr. Neblin mir zu. Er wartete, ob ich noch etwas hinzufügen wollte, aber mir fiel nichts Unverfängliches ein. Ich hatte bisher noch nie versucht, Neblin etwas zu verschweigen. Das war schwer.
»Wie geht es in der Schule?«, fragte er.
»Ganz gut«, antwortete ich. »Alle haben Angst, aber das ist wohl normal.«
»Hast du auch Angst?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte ich. Ich hatte mehr Angst als je zuvor im Leben, aber die Gründe ahnte er natürlich nicht. »Angst ist … sie ist komisch, wenn man es sich richtig überlegt. Die Menschen fürchten sich vor allem Möglichen, aber nie vor sich selbst.«
»Sollten die Menschen denn vor sich selbst Angst haben?«
»Die Angst dreht sich um Dinge, die man nicht kontrollieren kann«, fuhr ich fort. »Die Zukunft, die Dunkelheit oder dass jemand einen töten will. Vor sich selbst hat man keine Angst, weil man immer weiß, was man tun wird.«
»Fürchtest du dich vor dir selbst?«
Ich blickte aus dem Fenster und sah eine Frau auf dem Gehweg, die in einer kleinen Schneewehe stand und den Verkehr beobachtete. »Es ist so wie bei dieser Frau«, erklärte ich. »Sie könnte sich fürchten, überfahren zu werden, auf dem Eis auszurutschen oder dass sie auf der anderen Straßenseite nicht sicher stehen kann, aber sie hat keine Angst davor, die Straße zu überqueren. Es ist ihre eigene Entscheidung, und die hat sie schon getroffen. Sie weiß, wie sie es tun wird, und es sollte doch ganz leicht zu schaffen sein. Sie wird warten, bis keine Autos mehr kommen, vorsichtig auf das Eis treten und zusehen, dass sie wohlbehalten hinübergelangt. Angst hat sie nur vor dem Unkontrollierbaren. Vor dem Unkontrollierbaren, das ihr zustoßen könnte im Gegensatz zu ihrem eigenen Handeln. Sie liegt nicht morgens im Bett und sagt sich: Hoffentlich gerate ich heute an keine Straße, denn ich habe Angst, dass ich versuchen könnte, sie zu überqueren. Jetzt geht sie los.«
Die Frau entdeckte eine Lücke im Verkehr und eilte hinüber. Nichts geschah.
»Jetzt ist sie in Sicherheit«, sagte ich. »Ihr ist nichts passiert. Sie kehrt an die Arbeit zurück und denkt über andere Dinge nach, vor denen sie Angst hat: Hoffentlich wirft mich der Boss
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