Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Streit litten und es besser wäre, endlich nach vorne zu schauen.
Im Dorf gab es zwei Familien, die er nicht überzeugen konnte. Die Fehde ging schon so lange, dass niemand mehr genau wusste, wie sie angefangen hatte – wahrscheinlich war es nur eine winzige Kleinigkeit, denn wir sind ein hitzköpfiges Volk. Zuerst griff ein Bruder von der einen Familie den Onkel der Gegenseite an. Dann umgekehrt. Die Fehde fraß ihr ganzes Leben auf.
Unsere Leute sind der Meinung, dieses Vorgehen sei ein gutes System, und sie argumentieren damit, dass die Verbrechensrate bei uns viel niedriger ist als in Gegenden, in denen keine Paschtunen leben. Aber ich bin der Meinung, wenn jemand aus einer Familie einen Bruder tötet, dann sollte man nicht im Gegenzug einen Bruder oder ein anderes Mitglied der Täterfamilie ermorden, man sollte sie lehren. Ich fühle mich von Khan Abdul Ghaffar Khan inspiriert, dem Mann, den wir »Grenz-Gandhi« nennen. Er hat die Philosophie der Gewaltfreiheit in unsere Kultur eingeführt.
Mit dem Stehlen ist es dasselbe. Es gibt Menschen wie mich, die werden dabei erwischt und geloben dann, es nie wieder zu tun. Andere sagen: »Ach, was ist denn schon dabei, das war doch nur was Kleines.« Aber beim nächsten Mal ist es größer und beim dritten Mal noch größer.
In meinem Land denken sich die Politiker nichts dabei, zu stehlen. Sie sind von Haus aus reich. Doch wir sind ein armes Land, und trotzdem hören sie nicht auf, es zu plündern.
Die meisten von ihnen zahlen keine Steuern, aber das ist noch das wenigste. Sie bekommen von den Staatsbanken Kredite, die sie nicht zurückzahlen, und kassieren von Freunden oder beauftragten Firmen Schmiergelder für abgeschlossene Verträge mit der Regierung. Viele von ihnen besitzen teure Wohnungen im Herzen Londons.
Ich weiß nicht, wie sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, wenn sie sehen, wie unser Volk hungert oder wegen der endlosen Stromabschaltungen ständig im Dunkeln hockt, wie Kinder nicht zur Schule gehen können, weil ihre Eltern sie für die Arbeit brauchen.
Mein Vater sagt, Pakistan sei im Übermaß mit Politikern gestraft, die sich nur für ihren eigenen Geldbeutel interessieren. Es ist ihnen egal, dass in Wirklichkeit das Militär den Steuerknüppel unseres Flugzeugs in der Hand hält. Sie sind froh, dass sie nicht selbst ins Cockpit müssen, und machen es sich lieber in der Business-Klasse bequem, ziehen die Vorhänge zu und genießen das tolle Essen und den guten Service, während der Rest von uns sich hinten in die Holzklasse quetscht.
Ich bin in einer Art Demokratie zur Welt gekommen, in der Benazir Bhutto und Nawaz Sharif sich ständig ablösten. Keine der Regierungen war je bis zum Ende der Amtszeit aktiv. Und man beschuldigte sich ständig der Korruption. Zwei Jahre nach meiner Geburt aber übernahmen die Generäle das Regiment. Nawaz Sharif war zu der Zeit Premierminister und hatte sich mit General Pervez Musharraf zerstritten. Er versuchte, ihn loszuwerden. Der General befand sich auf einem Flug der Pakistan International Airlines ( PIA ) auf dem Rückweg aus Sri Lanka. Nawaz Sharif war so besorgt über seine mögliche Reaktion, dass er versuchte, die Landung der Maschine zu verhindern, obwohl neben dem Armeechef noch 200 weitere Passagiere an Bord waren. Eine Stunde nachdem Musharrafs Absetzung im Fernsehen bekanntgegeben worden war, hatten pakistanische Truppen das Nachrichtenstudio und die Flughäfen besetzt. Der Oberkommandierende vor Ort, General Iftikhar, stürmte den Flughafentower von Karachi, und Musharrafs Flugzeug konnte dann doch landen. Musharaff übernahm wieder die Macht und warf Sharif in Fort Attock in ein Verlies. Manche Menschen feierten das, denn Sharif war nicht gerade beliebt. Mein Vater aber weinte, als er die Nachricht vernahm. Er hatte gedacht, es sei ein für alle Mal vorbei mit Militärdiktaturen in Pakistan. Sharif wurde des Landesverrats angeklagt und nur durch seine Freunde in der saudischen Königsfamilie gerettet, die ihm Exil gewährten.
Musharraf war unser vierter Militärmachthaber. Wie alle unsere Diktatoren begann auch er sein Regime mit einer Fernsehansprache an die Nation: »
Mere aziz hamwatano
– meine lieben Landsleute«, und erging sich dann in einer langen Tirade gegen Sharif, in der er hervorhob, wir hätten unter ihm »unsere Ehre, unsere Würde und unseren Respekt verloren …«. Er versprach, die Korruption zu beenden und streng gegen jene vorzugehen, die »den Reichtum unseres
Weitere Kostenlose Bücher