Ich bin Nummer Vier - das Erbe von Lorien; Bd. 1
werde ich nachher auf dich warten.«
»Alles klar.« Ich steige aus und er braust davon.
Auf den Gängen ist viel Betrieb; Schüler stehen vor ihren Spinden, reden und lachen. Ein paar sehen mich an und flüstern einander etwas zu, vielleicht sprechen sie über die Auseinandersetzung mit Mark, vielleicht über mich in der Dunkelkammer. Wahrscheinlich beides. Es ist eine kleine Schule, und da gibt es wenig, was nicht jeder sofort erfährt.
Am Haupteingang wende ich mich nach rechts und finde meinen Spind. Er ist leer. Ich habe noch fünfzehn Minuten, bevor der Unterricht beginnt, die erste Stunde habe ich einen Grundkurs in Kompositionslehre. Ich überprüfe zuerst, wo sich der entsprechende Klassenraum befindet, dann gehe ich ins Büro. Die Sekretärin begrüßt mich mit einem Lächeln.
»Hallo«, sage ich. »Mein Handy ist weg. Ich habe es gestern verloren und dachte, vielleicht hat es jemand abgegeben.«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein, leider nicht.«
»Danke.«
Zurück auf dem Gang, kann ich Mark nirgends entdecken. Immer noch werde ich angestarrt, immer noch gibt es Geflüster, aber das macht mir nichts aus. Plötzlich sehe ich Mark in etwa fünfzehn Metern Entfernung vor mir. Sofort schießt Adrenalin durch meinen Körper. Ich schaue auf meine Hände. Sie sehen ganz normal aus. Trotzdem fürchte ich, dass sie rot werden könnten, und genau diese Furcht könnte gerade das auslösen.
Mark lehnt mit verschränkten Armen an einem Spind; er ist der Mittelpunkt einer Gruppe von fünf Jungs und zwei Mädchen, die alle lachen und quatschen. Sarah sitzt ungefähr fünf Meter von ihnen entfernt auf einem Fenstersims. Blonder Pferdeschwanz, Rock, grauer Pullover – sie sieht wieder umwerfend aus! Als ich näher komme, blickt sie von ihrem Buch auf, das sie gerade liest. Vor der Gruppe bleibe ich stehen, sehe Mark seelenruhig an und warte.
Nach kurzer Zeit bemerkt er mich. »Was willst du?«
»Das weißt du ganz genau.«
Wir sehen uns unverwandt in die Augen. Die Schülerschar um uns herum wächst, schwillt an auf zehn, dann auf zwanzig Leute. Sarah springt vom Sims und stellt sich an den Rand der Menge.
Mark trägt seine Collegejacke, sein schwarzes Haar ist sorgfältigso gestylt, als käme er gerade aus dem Bett. Er stößt sich vom Spind ab und kommt auf mich zu. Er bleibt so dicht vor mir stehen, dass wir uns fast berühren, und der würzige Duft seines Parfüms steigt mir in die Nase. Er misst vielleicht eins dreiundachtzig, sechs Zentimeter mehr als ich. Wir haben den gleichen Körperbau. Und er hat keine Ahnung, dass in mir etwas ganz anderes steckt als in ihm. Ich bin schneller als er und unendlich stärker. Der Gedanke daran lässt mich zuversichtlich lächeln.
»Glaubst du, dass du es heute ein bisschen länger in der Schule aushältst? Oder läufst du wieder davon wie eine kleine Pissnelke?«
Aus der Gruppe kommt Gekicher.
»Mal sehen, oder?«
»Ja, das werden wir wohl sehen«, entgegnet er und kommt noch näher.
»Ich will mein Handy zurück.«
»Ich habe dein Handy nicht.«
Ich schüttle den Kopf. »Zwei Leute haben gesehen, dass du es genommen hast«, lüge ich.
Sein Stirnrunzeln zeigt mir, dass ich richtig geraten habe.
»Na, und wenn schon? Was willst du machen?«
Jetzt stehen etwa dreißig Leute um uns herum. Zweifellos wird die ganze Schule innerhalb von zehn Minuten nach dem Läuten wissen, was geschehen ist.
»Betrachte dies als Warnung«, sage ich. »Ich lasse dir Zeit bis zum Ende des Tages.« Ich drehe mich um und marschiere davon.
»Sonst was?«, ruft er hinter mir her. Soll er doch selbst über der Antwort brüten! Meine Fäuste sind geballt, und mir wird klar, dass ich Adrenalin mit Nervensträngen verwechselt habe. Warum war ich so nervös? Weil unklar war, wie die Sache ausgeht? Weil ich zum ersten Mal auf Erden jemanden herausgeforderthabe? Weil meine Hände leuchten könnten? Vielleicht alles zusammen.
Ich gehe auf die Toilette, schließe mich in einer Kabine ein und betrachte meine Hände: ein leichter Schimmer in der rechten! Ich schließe die Augen, seufze und konzentriere mich auf eine kontrollierte Atmung. Eine Minute später ist der Schimmer immer noch da. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Erbe so empfindsam sein kann, so leicht reagiert. Ich bleibe in der Kabine, spüre kleine Schweißtropfen auf der Stirn, beide Hände sind warm, die linke aber zum Glück noch im Sinne einer normalen Körpertemperatur. Jungs kommen rein und gehen wieder, ich hocke in der
Weitere Kostenlose Bücher