Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
vorhersehbar wie damals, weil die strafenden und lobenden Eltern nicht vorauszusehen waren. Frieda Fromm-Reichmann stellte fest, dass ein Mensch, der zwischen Überschwang und Missmut hin und her pendelt, in der Regel sehr widersprüchlich erzogen worden ist. Das Erwachsenen-Ich in dem kleinen Menschen konnte sich die periodischen Veränderungen bei seinen Eltern nicht erklären, darum trat es ab mit einem letzten Versuch, so etwas wie eine Lebensanschauung zu umreißen: ICH BIN NICHT O.K. , und ICH BIN MIR NICHT KLAR ÜBER DICH . Immerhin begreift das Kind doch ungefähr: die Ereignisse kommen und gehen gewissermaßen wie Ebbe und Flut, «gleich ist es wieder so weit, dann passiert etwas», oder: «Alle guten Dinge sind einmal zu Ende.» So war das damals – so ist das jetzt.
Die Tatsache, dass es manches Gute, ja
sehr
Gute gab, das nun in der manischen Phase erneut abläuft, legt die Vermutung nahe, dass die Eltern (im Allgemeinen die Mutter, die in den ersten beiden Lebensjahren die einflussreichste Person war) in der Tat neben der vernichtenden Abweisung doch auch viel Streicheln und Beifall vergeben haben. Die Reaktion der Mutter auf ihr Kind war wohl primär nicht auf die Handlungen des Kindes bezogen, sondern auf ihre
eigenen
Stimmungswechsel oder aufwühlenden Persönlichkeitsveränderungen.
Man muss sich einmal überlegen, wie schwierig es für einen zweijährigen Jungen ist, zu verstehen, was vorgeht, wenn seine Mutter sich periodisch aus einer Art Mensch in eine andere Art Mensch verwandelt. Für diese Verwandlung kann es eine Reihe von Gründen geben, unter anderem Alkoholismus. Mutter hat getrunken und ist «in Fahrt». Sie drückt und streichelt und kitzelt ihn, bis er schreit. Sie spielt mit ihm Fangen rund um den Tisch. Sie wirft ihn in die Luft. Sie klatscht in die Hände und lacht hysterisch, wenn er die Katze am Schwanz zieht. Bravo! Das Leben ist schön! Dann wird Mutter benebelt, bewusstlos. Stundenlang ist der kleine Junge verlassen. Er ist hungrig. Er ist ganz leer. Sie ist weg. Das Streicheln ist weg. Wie kann er es zurückbekommen? Was ist geschehen? Er weiß es nicht. Später kommt sie zu sich und ist verkatert. Sie kann seinen Anblick nicht ertragen. Sie stößt ihn weg. Er weint und kommt wieder zu ihr. Sie schlägt ihn. Was ist geschehen? Was hat er getan? Es war
so
schön gewesen. Jetzt ist es so schlimm. Er weint sich in den Schlaf. Der Morgen kommt. Mutter ist wieder beschwipst. Los geht’s! Gestern Abend war es schlimm. Jetzt ist es wieder gut. Und natürlich wird es wieder schlimm werden. Ich weiß nicht warum, aber
mit der Zeit
verändert sich alles. Es ist schrecklich gut (manisch) und schrecklich schlimm (depressiv).
Schrecklich
trifft für beide Stadien zu, weil nach der erlebten Wirklichkeit dieser Wechsel plötzlich, total und
nicht voraussagbar
eintritt.
Auch andere Leiden der Eltern bewirken Veränderungen dieser Art – Drogensucht, religiöse Schwärmerei (übertriebene, ausschließliche, mystische Beschäftigung mit der Religion) oder Psychosen. Zum Beispiel kann die Mutter manisch-depressiv gewesen sein, und zwar nicht als Reaktion auf Alkohol, sondern als Reaktion auf alte Aufzeichnungen, die sie jetzt ihrerseits in ihrem Kind reproduziert. Manisch-depressive Psychosen werden in Familien übertragen, und es ist leicht einzusehen wie. In einer so verwirrenden Umgebung wurde das NICHT-O.K . des Kindes vergrößert. Eine mögliche Rettung sah es darin, die Eltern zu besänftigen: ICH KANN O.K. SEIN, WENN … Doch das WENN veränderte sich ständig. («Gestern Abend hat sie gelacht und mich in den Arm genommen, als ich die Katze am Schwanz herumschleuderte. Heute Morgen habe ich es wieder getan, und sie hat mich gehauen.») Diese widersprüchlichen Reaktionen werden im Laufe der Jahre im Kind verstärkt. Der Junge wird schwer bestraft, weil er «schlimme» Worte gebraucht. Doch am Abend hört er, wie sein angetrunkener Vater die Freunde beim Pokerspiel mit Geschichten über die Maulsauereien seines Jungen unterhält, bis er den Kleinen herbeiruft und (entgegen dem vorherigen Verbot) darauf besteht, dass «Onkel Arthur den Witz noch mal hört, den du vorhin erzählt hast».
Die manisch-depressive Persönlichkeit kann also als ein Mensch gesehen werden, dessen keimendes Erwachsenen-Ich in frühen Jahren von der Errichtung eines Systems von Ursache und Wirkung im Loben und Tadeln der Eltern ausgeschlossen wurde. Da in den ersten Jahren Lob und Tadel am häufigsten
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