Ich bleib so scheiße, wie ich bin
obwohl er die Mannschaft erst ein halbes Jahr zuvor übernommen hatte. Die Radsportlerin Hanka Kupfernagel gestand nach einem Zusammenbruch, ihr Ehrgeiz sei von Anfang an übertrieben gewesen. Der Schiedsrichter Babak Rafati wurde im November 2011 gerade noch rechtzeitig vom DFB-Präsidenten mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne seines Hotelzimmers gefunden. Der britische Fußballtrainer Gary Speed erhängte sich kurze Zeit später.
Anderen erfolgreichen Menschen geht es ähnlich: Neil Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond, hatte nach der Mondlandung 1969 jahrelang ein schweres Tief. Der Weltruhm des Popstars Michael Jacksons konnte letztendlich nicht seine zerstörte Kindheit wettmachen. Fernsehkoch Tim Mälzer überarbeitete sich genauso wie die Hollywoodschauspielerin Renée Zellweger. Der Rapper Eminem und die noch erfolgreichere Sängerin Mariah Carey wurden in Kliniken wegen der gleichen Krankheit behandelt: Vollkommene Erschöpfung.
Leben oder Karriere!
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Der Preis, den man für das bisschen Lebenszeit im Rampenlicht zahlt, ist oft viel zu hoch. Amy Chua, eine Yale-Professorin mit chinesischen Wurzeln, hat ein Buch darüber geschrieben, wie sie ihre Kinder mit strenger Hand zu Höchstleistungen drillt. Durch dieses Buch rückte ein Problem ins Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit, das bis dahin wenig Beachtung gefunden hatte: dass nämlich Suizid die zweithäufigste Todesursache von Kindern asiatischer Einwanderer ist. Der Selbstmord scheint für diese Kinder und Jugendliche die einzige Möglichkeit zu sein, sich den gut gemeinten Absichten ihrer Eltern zu entziehen.
Die chinesische Athletin, die Radsportlerin Hanka Kupfernagel oder die als Tiger-Mutter bekannt gewordene Yale-Professorin wissen, dass in unserer Gesellschaft nur die Extreme zählen, daher unterwerfen sie sich dieser Tortur, ohne zu zögern. Ihr Lebensmotto ist: Entweder ich mache etwas sehr gut, oder ich lasse es gleich. Und ihr Erfolg scheint ihnen recht zu geben: Wenn ich besser bin als alle anderen, wenn ich mehr leiste, wenn ich ganz oben bin, dann wird mir alles zuteil, was das Leben lebenswert macht: Aufmerksamkeit, Geld, Sex, Liebe und Ruhm. Mit meiner außerordentlichen Leistung kaufe ich mich von einem gewöhnlichen Dasein frei. Doch im Nacken sitzt die Angst, dass der Höhenflug bald vorbei sein könnte. Sobald ich mit meinen Anstrengungen nachlasse, beginnt auch für mich wieder das ganz normale, langweilige Leben.
»Es liegt in der Natur von Spitzenleistungen«, sagt Werner Katzengruber, »dass man sie nicht auf ewig aufrechterhalten kann. Jeder Profisportler weiß das. Und meistens kommt der Zeitpunkt, an dem man nachzulassen beginnt, schneller als gedacht.«
Jedes Mal, wenn es einem nicht gelingt, das gestern Erreichte zu wiederholen, taucht die bange Frage auf, ob dies lediglich ein schlechter Tag ist oder schon der Anfang vom Abstieg. Ein bisschen Erfolg, ein bisschen Ruhm gibt es nicht. Über eine sanfte Übergangszeit vom Publikumsliebling zum Nobody lässt sich mit dem Publikum nicht verhandeln. Diese schmerzhafte Erfahrung haben schon viele Sportler, Stars und Sternchen gemacht. Wer absteigt, wird wieder behandelt wie alle anderen auch und muss wieder, wie alle anderen, mit einer der größten Kränkungen fertigwerden, die die Gesellschaft für uns bereithält: weder für die eigene Person noch für die geleistete Arbeit eine besondere Wertschätzung zu erhalten. Beachtet wird man erst wieder, wenn man sich das Leben nimmt oder auf andere, dramatische Weise an sich selbst scheitert. Nur mit einem besonders unrühmlichen Abstieg lässt sich noch Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Manche Menschen erkennen schnell, dass sie weit davon entfernt sind, die Normen der Gesellschaft zu erfüllen, geschweige denn, über diese hinauszuragen. Sie wissen, dass sie niemals der schönste, der schnellste, der reichste oder der kreativste Mensch sein werden, den die Welt je gesehen hat. Und so ergreifen sie ihre einzige Chance, die sie haben: sie beschließen, am anderen Ende der Skala Rekorde aufzustellen.
Die US-Amerikanerin Donna Simpson hat als Jugendliche gegen ihr Übergewicht angekämpft, wie viele amerikanische Teenager. Ohne Erfolg. Irgendwann beschloss sie, damit aufzuhören, und fasste den sensationellen Plan, nicht mehr abzunehmen, sondern zuzunehmen. Die heute 32-Jährige wiegt inzwischen über 300 Kilogramm, und ihr Ziel ist es, in zehn Jahren 500 Kilogramm zu wiegen und damit die dickste Frau der
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