Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Liebesgabe nicht zu entwerten, reagiert dennoch darauf und tut ebenfalls so, als sei das, was er tut, sein ureigenes Bedürfnis. In der Praxis sieht das dann so aus:
Der Partner ist beleidigt und schweigt. Sein Schweigen signalisiert: Kümmere dich um mich, und frag bitte, was mit mir los ist. Wenn nun der Partner nachfragt, was denn los sei, tut der Beleidigte so, als habe das Schweigen nichts mit dem Partner zu tun: »Wieso, was soll schon los sein?« Der Partner sagt: »Aber du hast doch was, du sagst ja gar nichts.« Der Beleidigte entgegnet: »Wieso, man muss doch nicht immer was sagen.«
Und so geht es immer weiter.
Kein Freund würde für eine solch verdrehte Konversation die Geduld aufbringen, und eigentlich weiß man nur durch diese Art der Kommunikation, dass man sich in einer Beziehung befindet. Diese Kommunikation aufzugeben, wäre so, als würde man die Beziehung aufgeben.
Deswegen hat Regina das Gefühl, sie liebe Marc nicht mehr, wenn sie seine Unpünktlichkeit nicht mehr persönlich nimmt. Wenn sie lieber mit einer Freundin als mit ihrem Freund ins Fitnesscenter geht, ist ihre Beziehung definitiv abgekühlt.
Solange Regina an Marc noch interessiert ist, wird sie das Beziehungsspiel aufrechterhalten: Regina findet, wenn Marc sie lieben würde, würde er pünktlich kommen. Marc verweigert ihr diesen Liebesbeweis, aus welchem Grund auch immer, und wehrt ihren Anspruch mit den absurdesten Gründen ab. Sein Vorwurf, Regina sei eine kontrollsüchtige Pedantin, ist so offensichtlich ungerecht, dass er den gesunden Menschenverstand beleidigt. Man stelle sich vor, Marc würde seinen Chef als pedantischen Spießer bezeichnen, nur weil der auf einer gewissen Pünktlichkeit in seiner Firma besteht. Marc testet mit seinem unmöglichen Verhalten, wie viel er sich gegenüber Regina erlauben kann. Beide kämpfen um die Machtverteilung in der Beziehung, und es geht darum, wer diesen Kampf gewinnt. Um die Sache selbst geht es nicht.
Wir wollen nicht in Ruhe Sport treiben, wir wollen wissen, ob wir geliebt werden. Und ob wir geliebt werden, sehen wir daran, wie viel sich der Partner von uns bieten lässt. Ob diese Gefühle wirklich als Liebe bezeichnet werden können, stellen wir einmal dahin.
Wer seinen Partner ernst nimmt,
ist selbst schuld!
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Den meisten ist nicht bewusst, was sie da tun. Wenn sie ihren guten Freunden vom letzten Krach mit dem Partner berichten, dann schildern sie die Angelegenheit so, als würde es ihnen wirklich nur darum gehen, pünktlich ins Fitnessstudio zu kommen. Der Freundin von Regina zum Beispiel erscheint der Vorfall als ungeheuerlich: Sie kann kaum glauben, dass Marc Regina als Pedantin beschimpft hat, nur weil Regina keine Lust hat, jede Woche eine halbe Stunde auf ihn zu warten. Es scheint nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder Marc ist zu dumm, um sich in andere Menschen hineinzuversetzen, oder er ist gemein und dreist.
So oder ähnlich kommt es Regina und ihrer Freundin vor, denn nun werden ja wieder die normalen Maßstäbe zwischenmenschlicher Interaktion an das Gespräch zwischen Marc und Regina gelegt. Unter denen ist es aber nie geführt worden.
Sich doof stellen, Türen schlagen, provozieren, verweigern, absurde Argumente und unglaubliche Anschuldigungen austauschen – alles das hat einen Sinn: Nur im verbalen Schlagabtausch werden wir herausfinden, was wir so dringend wissen wollen. Nämlich, wie weit ich bei meinem Partner gehen kann, bevor ich mit Liebesentzug bestraft werde. Eigentlich das Wichtigste, was man über den Menschen, mit dem man zusammenlebt, wissen kann.
Wenn man weiß, um was es einem geht,
streitet man effektiver.
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Wir sollen uns leidenschaftlich lieben, aber vernünftig miteinander sprechen. Paartherapeuten fordern uns auf, uns gegenseitig mit Respekt zu behandeln, auf Anschuldigungen zu verzichten und die Geschehnisse möglichst neutral aus der Ich-Perspektive zu schildern, Kompromisse zu machen und einander nicht zu provozieren. Damit leugnen sie den Machtkampf, der hier geführt wird. Alle tun dann gemeinsam so, als wären die Vorwände – also das nicht geputzte Klo, der Lappen in der Spüle, das Minus auf dem Konto – der Kern des Konflikts zwischen den Partnern. Und sobald sich eine Lösung für das Klo, den Lappen und die Schulden gefunden hat, hätte das Paar den Kopf wieder frei für »die schönen Dinge zu zweit«.
Beide Partner wundern sich, dass sie außerhalb der Überwachung des Paarcoaches oder des Mediators sofort
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