Ich blogg dich weg!
mir meine Jacke und schob das Fahrrad auf den Weg.
„Wohin fährst du noch?“, rief Sandra von der Tür aus. „Noah ruft doch gleich an.“
„Muss noch mal weg!“
Ich radelte unter den hohen Buchen durch bis zum alten Forsthaus, das ganz einsam im Wald stand. Ich war schon lange nicht mehr hier oben gewesen. Es dämmerte, aber man konnte schon von Weitem sehen, dass das Haus dringend renoviert werden musste. Der weiße Putz war an vielen Stellen abgeplatzt und die alten Rollläden in der ersten Etage ließen sich wohl nicht mehr öffnen. Ein alter Golf parkte davor, und als ich näher kam, sah ich, dass er hinten auf Backsteinen aufgebockt war. Um die Backsteine herum wuchs hohes Gras.
Im Erdgeschoss bewegte sich eine Gardine und kurz darauf riss Lisa die Haustür auf. Der Anstrich der Tür war fast ganz abgeblättert.
„Was willst du?“, fragte Lisa anstelle einer Begrüßung. Statt ihrer üblichen schwarzen Klamotten trug sie einen großen rostroten Bademantel und hatte ein Handtuch um den Kopf geschlungen. Sie war völlig ungeschminkt. Ihre Hände stemmte sie in die Hüften und wirkte ziemlich kampfeslustig.
„Das weißt du genau!“ Ich war selbst überrascht, dass ich schrie. Mein Fahrrad fiel hinter mir ins Gras. Aber wie konnte sie nur so unschuldig tun!
„Du schreibst mir diese Mails! Und du hast dieses Profil eingerichtet! Wie kann man nur so eine schlechte Verliererin sein!“, schrie ich weiter.
„Wer ist da?“, rief eine Stimme hinter Lisa.
„Nur eine aus der Schule.“ Lisa zog die Haustür hinter sich zu und funkelte mich wütend an. Sie schubste mich vom Hauseingang zurück.
„Nicht hier“, fauchte sie und schubste mich noch mal.
„Hey, warte mal! Du hast sie doch nicht mehr alle!“ Ich schlug ihre Hand weg, als sie mich am Arm packen wollte. „Was soll das denn?“
Lisa hob das Handtuch auf, das sich von ihrem Kopf gelöst hatte. Ohne ihre aufgesteckten Haare und die schwarze Schminke um die Augen sah sie ganz anders aus als sonst.
„Was willst du, verdammt noch mal?“, fragte Lisa. Sie flüsterte fast.
„Du löschst das Profil, klar? Oder …“
„Oder was?“ Sie wickelte sich das Handtuch wieder um ihre langen nassen Haare. Ich meinte zu sehen, dass sie dabei grinste.
„Ich könnte dich anzeigen“, sagte ich laut.
„Keine Ahnung, wovon du redest. Und du fährst jetzt besser nach Hause.“ Sie hob den Kopf, so als hätte sie etwas im Haus gehört. „Ich hab für diesen Kindergarten echt keine Zeit.“
„Du bist doch nur sauer, weil du nicht bei uns mitspielen darfst.“
Lisa schüttelte den Kopf. Sie hielt immer noch das Handtuch fest.
„Ich weiß ja nicht, was in deinem irren Köpfchen vor sich geht, aber weißt du was? Ich hab eine andere Band, verstehst du? Und wir spielen nicht nur irgendwelche langweiligen Songs aus dem Radio nach!“
„Ach ja?“, fragte ich. „Aber …“
Die Haustür ging auf. Lisas Mutter stand im Türrahmen. Sie hielt ein Weinglas in der Hand und schwankte. Lisa warf einen Blick über ihre Schulter, dann wandte sie sich wieder mir zu.
„Die Fotos vom Waldsee, die hat deine Mutter gemacht“, begann ich, aber Lisa hörte mir gar nicht zu.
„Jetzt verpiss dich!“, zischte sie.
Sie lief über die halb eingesunkenen Pflastersteine zur Haustür und schloss sie hinter sich und ihrer betrunkenen Mutter.
MAREK
Dass diese Weiber immer so umständlich waren! Immer dachten sie um drei Ecken, um dann genau da anzukommen, wo sie losgelaufen waren. Das Mädchen, das neuerdings bei uns am Frühstückstisch saß, konnte zum Beispiel nichts tun, ohne sich vorher komplett anzuziehen und volle Kriegsbemalung anzulegen. Was sollte das? Kannte mein Vater sie inzwischen nicht nackt und mit verwuschelten Haaren? Mit verschmiertem Make-up? Tat sie das für mich? War es für sie etwa wichtig, was ich von ihr dachte? Was für ein Quatsch!
Ich biss von meinem Brot ab und beobachtete sie dabei weiter. Oder Julie! War es denn wirklich so wichtig, was irgendwelche Idioten über sie ins Netz stellten? Für die Band war es wichtig, klar. Aber ihr, also ihr persönlich, konnte es doch am Allerwertesten vorbeigehen, oder?
Sie sah super aus und konnte singen, dass einem der Mund offen stehen blieb. Das musste sie doch wissen! Und jetzt? Nicht mal den Anbieter hatte sie kontaktiert. Wann wollte sie das endlich tun?
Wenn man „Cyber-Mobbing“ googelte, dann bekam man sechshunderttausend Einträge und die meisten davon gaben nützliche
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