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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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einen Unfall. Beim Felsklettern.«
    Ich überflog die Fotos, blieb an dem hängen, auf dem mein Mann und ich in unseren Morgenmänteln an einem Frühstückstisch sitzen. Er lächelt glücklich, doch abgesehen von einem Bartschatten sind seine Wangen makellos. Blanke Angst packte mich.
    Ich hörte die Haustür aufgehen. Eine Stimme. »Christine! Schatz! Ich bin wieder da!«
    »Nein«, sagte ich. »Nein, er hat keine.«
    Ein Laut. Irgendwo zwischen Keuchen und Stöhnen.
    »Der Mann, mit dem du zusammenlebst«, sagte Claire. »Ich weiß nicht, wer er ist. Aber er ist nicht Ben.«
    Entsetzen packt mich. Ich höre die Klospülung, doch ich kann nicht anders, ich muss weiterlesen.
    Ich weiß nicht, was dann passierte. Ich kann es nicht zusammenfügen. Claire sagte: »Verdammt!«, schrie es fast, wieder und wieder. In meinem Kopf drehte sich alles vor Panik. Ich hörte, wie die Haustür geschlossen wurde, das Klicken des Schlosses.
    »Ich bin im Bad«, rief ich dem Mann zu, den ich für meinen Ehemann gehalten hatte. Meine Stimme klang brüchig. Verzweifelt. »Ich bin gleich unten.«
    »Ich komme zu dir«, sagte Claire. »Ich hol dich da raus.«
    »Ist alles in Ordnung, Schatz?«, rief der Mann, der nicht Ben ist. Ich hörte seine Schritte auf der Treppe, und mir fiel ein, dass ich die Badezimmertür nicht abgeschlossen hatte. Ich senkte die Stimme.
    »Er ist da«, sagte ich. »Komm morgen. Wenn er in der Schule ist. Ich packe meine Sachen. Ich ruf dich an.«
    »Scheiße«, sagte sie. »Okay. Aber schreib alles in dein Tagebuch. Schreib es auf, sobald du kannst. Vergiss es nicht.«
    Ich dachte an mein Tagebuch, das im Kleiderschrank versteckt war. Ich muss die Ruhe bewahren, dachte ich. Ich muss so tun, als wenn nichts wäre, zumindest bis ich es holen und aufschreiben kann, in was für einer Gefahr ich bin.
    »Hilf mir«, sagte ich. »Hilf mir.«
    Ich legte auf, als er die Badezimmertür aufdrückte.
    ***
    Damit endet der Eintrag. Hektisch blättere ich die restlichen Seiten durch, aber sie sind leer, nur von den blassblauen Linien durchzogen, und warten auf die Fortsetzung meiner Geschichte. Doch sie geht nicht weiter. Ben hatte das Tagebuch gefunden, die Seiten entfernt, und Claire war nicht gekommen, um mich zu holen. Als Dr. Nash das Tagebuch dann mitnahm – das muss am Dienstag gewesen sein –, wusste ich nicht, dass etwas nicht stimmte.
    Mit einem Schlag sehe ich alles, begreife, was mich an der Tafel in der Küche so irritiert hat. Die Handschrift. Die akkuraten, gleichmäßigen Großbuchstaben sahen ganz anders aus als die schwer leserliche Schrift in dem Brief, den Claire mir gegeben hatte. Irgendwo, tief in meinem Innern, hatte ich da gewusst, dass sie nicht von derselben Person stammen konnten.
    Ich blicke auf. Ben, das heißt, der Mann, der sich als Ben ausgibt, ist aus der Dusche gekommen. Er steht im Türrahmen, gekleidet wie zuvor, und betrachtet mich. Ich weiß nicht, wie lange er schon da steht und mich beim Lesen beobachtet. In seinen Augen liegt lediglich eine Art ausdruckslose Leere, als würde ihn das, was er sieht, kaum interessieren, als würde es ihn nichts angehen.
    Ich höre, wie ich nach Luft schnappe. Ich lasse die Blätter fallen. Lose verteilen sie sich auf dem Fußboden. »Wer bist du?«, frage ich. »Wer?« Er sagt nichts. Er blickt auf die Blätter vor mir. »Antworte!«, sage ich. In meiner Stimme liegt eine Autorität, die ich gar nicht empfinde.
    Mir dreht sich alles im Kopf, während ich überlege, wer er sein könnte. Vielleicht jemand aus der Einrichtung, in der ich zuletzt untergebracht war. Ein Patient? Nichts ergibt einen Sinn. Ich spüre, wie Panik in mir erwacht, als mir ein anderer Gedanke kommt, der aber gleich wieder verschwindet.
    Dann sieht er mir in die Augen. »Ich bin Ben«, sagt er. Er spricht langsam, als würde er mir eine Selbstverständlichkeit erklären. »Ben. Dein Mann.«
    Ich rutsche über den Boden von ihm weg, versuche mit aller Kraft, mich daran zu erinnern, was ich gelesen habe, was ich weiß.
    »Nein«, sage ich, und dann noch einmal, lauter: »Nein!«
    Er kommt näher. »Doch, das bin ich, Christine. Und das weißt du.«
    Angst überkommt mich. Panik. Sie hebt mich hoch, hält mich in der Schwebe und wirft mich dann zurück in ihr eigenes Grauen. Claires Worte kommen mir wieder in den Sinn.
Er ist nicht Ben.
Und dann geschieht etwas Seltsames. Ich merke, dass ich mich nicht erinnere, gelesen zu haben, dass sie die Worte gesagt hat, ich erinnere mich an

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