Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
Vom Netzwerk:
falsch gemacht hatte. Ich schnitt weiter die Zwiebeln.
     
    Dann saßen wir einander gegenüber. Wir hatten beim Essen kaum ein Wort gesprochen. Ich hatte ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei, doch er hatte bloß mit den Schultern gezuckt und genickt. »Es war ein langer Tag«, war das Einzige, was er sagte, und als ich ihn erwartungsvoll ansah, fügte er knapp hinzu: »Auf der Arbeit.« Das Gespräch war erstorben, ehe es richtig begonnen hatte, und ich hielt es erst mal für besser, ihm nichts von dem Tagebuch zu erzählen und von Dr. Nash. Ich stocherte in meinem Essen herum, versuchte, mir keine Gedanken zu machen – schließlich, so sagte ich mir, darf er ja auch mal einen schlechten Tag haben –, doch die Anspannung nagte an mir. Ich spürte, wie mir die Gelegenheit, ihm reinen Wein einzuschenken, entglitt, und ich wusste nicht, ob ich morgen früh nach dem Aufwachen genauso überzeugt sein würde wie jetzt, dass es richtig wäre. Schließlich hielt ich es nicht länger aus.
    »Aber wollten wir denn Kinder?«, fragte ich.
    Er seufzte. »Christine, muss das jetzt sein?«
    »Entschuldige«, sagte ich. Ich wusste noch immer nicht, ob ich etwas sagen sollte, und wenn ja, was. Es wäre vielleicht besser gewesen, es einfach zu lassen. Doch mir wurde klar, dass ich das nicht konnte. »Aber heute ist was ganz Merkwürdiges passiert«, sagte ich. Ich versuchte, meine Stimme möglichst ungezwungen klingen zu lassen, eine Heiterkeit an den Tag zu legen, die ich nicht empfand. »Ich hab nämlich gedacht, ich hätte mich an etwas erinnert.«
    »Etwas?«
    »Ja. Ach, ich weiß nicht …«
    »Erzähl mal«, sagte er. Er beugte sich vor, plötzlich ganz gespannt. »Woran hast du dich erinnert?«
    Meine Augen richteten sich auf die Wand hinter ihm. Ein Bild hing dort, ein Foto. Eine Blüte in Großaufnahme, in Schwarzweiß, mit Wassertropfen, die noch an ihr hafteten. Es sah billig aus, dachte ich. Als ob es in ein Kaufhaus gehörte, nicht in die eigenen vier Wände.
    »Ich hab mich daran erinnert, dass ich ein Baby bekommen habe.«
    Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Augen wurden groß und schlossen sich dann ganz. Er holte tief Luft, ließ sie mit einem langen Seufzer entströmen.
    »Stimmt das?«, sagte ich. »Hatten wir ein Baby?«
Wenn er jetzt lügt, dann weiß ich nicht, was ich tue
. Ihn anschreien, schätzte ich. Ihm alles, alles sagen, in einem einzigen unbeherrschten, katastrophalen Ausbruch. Er öffnete die Augen und sah mich an.
    »Ja«, sagte er. »Es stimmt.«
    Er erzählte mir von Adam, und Erleichterung durchflutete mich. Erleichterung, aber mit Schmerz durchsetzt. All die Jahre, für immer verloren. All die Augenblicke, an die ich keine Erinnerung habe, die ich nie zurückholen kann. Ich spürte, wie Sehnsucht in mir erwachte, spürte sie wachsen, so groß werden, dass ich meinte, sie könnte mich verschlingen. Ben erzählte mir von Adams Geburt, seiner Kindheit, seinem Leben. Wo er zur Schule gegangen war, von dem Krippenspiel, bei dem er mitgemacht hatte; von seinen Leistungen als Fußballer und Leichtathlet, von seiner Enttäuschung über die Noten im Abschlusszeugnis. Von Freundinnen. Von dem Mal, als eine unvorsichtig Selbstgedrehte für einen Joint gehalten wurde. Ich stellte Fragen, und er beantwortete sie. Es schien ihm Freude zu machen, über seinen Sohn zu reden, als würde seine schlechte Laune durch die Erinnerung vertrieben.
    Unwillkürlich schloss ich die Augen, während er erzählte. Bilder schwebten durch mich hindurch. Bilder von Adam und mir und Ben – aber ich konnte nicht sagen, ob sie Erinnerungen waren oder erfunden. Als er fertig war, schlug ich die Augen auf und war einen Moment lang erschrocken, als ich sah, wer da vor mir saß, wie alt er geworden war, so ganz anders als der junge Vater, den ich mir vorgestellt hatte. »Aber wir haben keine Fotos von ihm im Haus«, sagte ich. »Nirgendwo.«
    Er blickte beklommen. »Ich weiß«, sagte er. »Es nimmt dich zu sehr mit.«
    »Was denn?«
    Er sagte nichts. Vielleicht hatte er nicht die Kraft, mir von Adams Tod zu erzählen. Er wirkte irgendwie matt. Ausgelaugt. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich ihm das antat, jetzt und Tag für Tag.
    »Schon gut«, sagte ich. »Ich weiß, dass er tot ist.«
    Er blickte überrascht. Unsicher. »Du … weißt es?«
    »Ja«, sagte ich. Ich war drauf und dran, ihm von meinem Tagebuch zu berichten, dass er mir das alles schon einmal erzählt hatte, tat es aber nicht. Seine Stimmung wirkte

Weitere Kostenlose Bücher