Ich darf nicht vergessen
ich. Das ist ein Todesurteil. Der Tod des Verstandes. Ich habe das Krankenhaus bereits verständigt und meine Pensionierung beantragt. Ich habe angefangen, ein Tagebuch zu führen, um meinem Leben eine gewisse Kontinuität zu geben. Aber ich werde nicht mehr lange in der Lage sein, eigenständig zu leben. Und ich möchte euch nicht zur Last werden.
Das Mädchen nimmt meine andere Hand. Es ist nicht tröstlich, es ist unangenehm, dass diese namenlosen Menschen mir die Hände festhalten. Ich ziehe meine Hände weg und lege sie in den SchoÃ.
Das muss sehr beängstigend für dich sein, sagt das Mädchen.
Der Junge lächelt zaghaft. Du bist ein zäher Brocken, sagt er. Du wirst diese Krankheit zu Boden ringen, ehe sie dich unterkriegt.
Ihr scheint euch gar nicht zu wundern.
Nein, sagt das Mädchen.
Habt ihr es bemerkt?
Es ist ja wohl kaum zu übersehen!, sagt der Junge.
Schsch!, sagt das Mädchen. Eigentlich sind wir deswegen hier, Mom.
Es ist nicht nur so, dass wir uns nicht wundern, sagt der Junge. Es ist so schlimm geworden, dass es an der Zeit ist, MaÃnahmen zu ergreifen. Das Haus zu verkaufen. Dafür zu sorgen, dass du ⦠in ein Heim ziehst, das dir angemessene Lebensbedingungen bietet.
Was soll das heiÃen, das Haus verkaufen?, frage ich. Das ist mein Zuhause. Es wird immer mein Zuhause sein. Als ich vor neunundzwanzig Jahren zum ersten Mal hier drin warâ da war ich übrigens mit dir schwangerâ, habe ich gesagt, endlich habe ich einen Ort gefunden, an dem ich bleiben kann, bis ich sterbe. Bloà weil ich hin und wieder meinen Schlüsselbund verlegeâ¦
Es sind nicht nur die Schlüssel, Mom, sagt der Junge. Du regst dich auf. Du wirst aggressiv. Du läufst weg. Du kannst nicht mehr allein auf die Toilette gehen, dich um deine Körperhygiene kümmern. Du weigerst dich, deine Medikamente zu nehmen. Das ist zu viel für Magdalena.
Wer ist Magdalena?
Magdalena. Sie sitzt hier am Tisch. Siehst du? Du erinnerst dich nicht mal an die Frau, die bei dir wohnt. Die sich um dich kümmert. Die sich groÃartig um dich kümmert. Du erinnerst dich nicht mal, dass Dad tot ist.
Dein Vater ist nicht tot! Er ist bei der Arbeit. Wie spät ist es? Er kommt gleich nach Hause.
Der Junge wendet sich an das Mädchen. Es hat keinen Zweck. Lass uns einfach unseren Plan durchziehen. Wir haben alle Unterlagen, die wir brauchen. Es ist das einzig Richtige. Das weiÃt du so gut wie ich. Wir sind alle Möglichkeiten durchgegangen â einschlieÃlich der Möglichkeit, dass du hier einziehst und Magdalena unterstützt. Aber das wäre der reine Wahnsinn.
Das Mädchen nickt langsam.
Wir könnten eine Krankenschwester einstellen. Die Schlösser ständig verriegeln, die wir an den Türen angebracht haben. Aber als wir das versucht haben, ist sie so auÃer sich geraten, dass es mehr geschadet als genützt hat. Und ihr Zustand verschlimmert sich immer schneller. Wenn wir wollen, dass sie in Sicherheit ist, muss sie in ein Heim.
Das Mädchen antwortet nicht. Die Blondine steht abrupt auf und verlässt das Zimmer. Weder das Mädchen noch der Junge scheinen davon Notiz zu nehmen.
Ich verstehe die Worte des Jungen nicht, also konzentriere ich mich auf sein Gesicht. Ist er Freund oder Feind? Ich glaube, Freund, aber ich bin mir nicht sicher. Ich fühle mich unwohl. In seinen Augen liegt etwas Feindseliges, seine Schultern sind angespannt, was aber auf alte Verletzungen, altes Misstrauen zurückzuführen sein könnte.
Ich sitze mit zwei jungen Leuten am Tisch. Sie stehen auf und wollen gehen. Das Mädchen hatte sich mental zurückgezogen, war abwesend. Jetzt ist sie plötzlich wieder da.
Mom, ich hoffe, du verzeihst uns. Sie hat Tränen in den Augen.
Fiona, sie wird sich sowieso nicht daran erinnern. Dieses Gespräch war vollkommen sinnlos. Ich habâs dir ja gleich gesagt.
Das Mädchen zieht sich den Pullover über und wischt sich die Augen. Dann ist da ja auch noch Magdalena. Sie ist uns in den letzten acht Monaten so eine Stütze gewesen. Das wird mir auch schwerfallen.
Der Junge zuckt die Achseln. Sie ist eine Angestellte. Es war ein Arbeitsverhältnis. Leistung und Gegenleistung.
Du bist ein Arschloch, sagt das Mädchen. Dann schweigt sie einen Moment. Ich bin trotzdem froh, dass wir hergekommen sind, sagt sie. Komisch, ich hab nie gewusst, was sie empfunden hat, als sie gemerkt hat,
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