Ich darf Sie nicht lieben, Miss Jessica
einzige Chance hatte, war Jessica trotz ihrer Angst vor Matts Zorn entschlossen, den Earl zur Rede zu stellen. London zu verlassen, ohne herausgefunden zu haben, ob sein anscheinendes Interesse an ihr ernsthafter Natur war, erschien ihr unvorstellbar. Gleichwohl, beschied sie: Sollte ich mich geirrt haben und Wyvern kein heimliches tendre für mich hegen, werde ich nach Hause zurückkehren und mir diesen gleichermaßen gut aussehenden wie niederträchtigen Schurken aus dem Kopf schlagen, auch wenn mir das Herz blutet.
„Sie sind so still, Miss Beresford“, bemerkte Mr. Pevensey, der sie vor ein paar Minuten zum zweiten Ländler auf die Tanzfläche gebeten hatte und soeben durch den Bogengang führte, den die anderen, einander gegenüberstehenden Tanzpaare mit ihren erhobenen Armen und den miteinander verschränkten Händen bildeten. „Hoffentlich nicht, weil Sie wieder Kopfschmerzen haben?“
Jessica zwang sich zu lächeln. „Keineswegs, Sir“, erwiderte sie strahlend. „Ich konzentriere mich nur auf die Schrittfolgen – es passiert so leicht, dass man sich verzählt und dann eine falsche Drehung vollführt.“ Da der Tanz es erforderte, dass sie sich in diesem Moment trennten, vermochte Pevensey nur zustimmend zu nicken, sodass Jessica weiter ihren Gedanken nachhängen konnte.
Zu ihrer Enttäuschung war Lord Wyvern bisher nicht erschienen, und da der Abend schon recht weit vorangeschritten war, fragte sie sich bedrückt, ob sie tatsächlich nach Thornfield zurückkehren würde, ohne ihn noch einmal gesehen zu haben. Sie fiel in das rhythmische Klatschen ein, das das nächste Paar auf seinem Weg um die beiden Reihen der anderen, nunmehr stehenden Tänzer begleitete, und verschränkte anschließend ihre erhobenen Hände mit denen ihres Gegenübers, um den nächsten Bogen zu vervollständigen.
Als die Musik kurz darauf verklang, legte sich Mr. Pevensey ihre Hand in die Armbeuge und eskortierte sie zurück zu ihrer Gruppe. Sie hatten zwei Tänze zusammen absolviert, und zu Jessicas Erleichterung waren seine Pflichten ihr gegenüber damit erfüllt. Nachdem es so aussah, als würde Lord Wyvern sich an diesem Abend nicht blicken lassen, hatte ihre anfängliche Begeisterung über den Ball ohnehin längst zu bröckeln begonnen, und einzig und allein Lady Sarahs wegen, die der Honourable Rodney Lyndhurst dann zwangsläufig ebenfalls würde nach Hause bringen müssen, sah sie davon ab, erneut Kopfschmerzen vorzuschützen.
Der warnende Zischlaut, den Felicity plötzlich von sich gab, riss sie aus abrupt aus ihrer Geistesabwesenheit. „Aufwachen, Jessica!“, murmelte ihre neue Freundin hinter vorgehaltenem Fächer. „Die Dowager Countess of Wyvern versucht dich auf sich aufmerksam zu machen. Ich frage mich, was Ihre Ladyschaft von dir will“, setzte sie nachdenklich hinzu.
Jessica konnte es nicht verhindern, dass ihre Augen neugierig aufblitzten, als sie ihren Blick auf die gegenüberliegende Seite des Ballsaals richtete und die majestätische alte Dame, bei deren Soiree sich die denkwürdige Begegnung mit Lord Wyvern im Damenzimmer zugetragen hatte, im Kreis ihrer hoch angesehenen Freunde und Bekannten sitzen sah. Lady Wyvern schaute sie an und winkte sie mit gekrümmtem Zeigerfinger zu sich.
Jessicas Wangen röteten sich vor Ärger. Sie senkte den Blick und drehte den Kopf zur Seite. „Von mir aus kann sie winken, soviel sie möchte“, murmelte sie aufrührerisch. „Ich kenne die Dame kaum, und für ihre hochfahrende Haltung habe ich schon gar nichts übrig.“
Felicitys Augen weiteten sich verwundert. „Aber du musst zu ihr gehen, Jessica“, flüsterte sie erschrocken. „Sie ist die Dowager Countess of Wyvern. Es geht nicht an, dass du eine Auffor derung von ihr ignorierst!“
Jessica stieß einen Seufzer aus und versuchte ihren Unmut über die Existenz dieser weiteren starren Reglementierung des Umgangs in der gehobenen Gesellschaft nicht allzu deutlich zu zeigen. Sie stand auf und bahnte sich ihren Weg zu der Gruppe, in deren Mitte Lady Wyvern thronte. Nachdem sie höflich geknickst hatte, sah sie die Dowager Countess an und erkundigte sich in artigem Ton, womit sie Ihrer Ladyschaft dienen könne.
„Kommen Sie, und setzen Sie sich.“ Die alte Dame klopfte gebieterisch mit dem Fächer auf den freien Stuhl neben sich. „Ich möchte mit Ihnen sprechen.“
Mit sinkendem Mut kam Jessica der Aufforderung nach, die eher geklungen hatte wie ein militärischer Befehl. Es war ihr schleierhaft, was die
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