Ich darf Sie nicht lieben, Miss Jessica
Dowager Countess mit ihr zu bereden haben sollte.
Ihre Ladyschaft wartete nicht ab, bis ihr Gast Platz genommen und die Röcke geordnet hatte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel vor, hob ihre Lorgnette an die Augen und musterte Jessica unverfroren von Kopf bis Fuß.
„Nun, es stimmt, Sie sind all das, was man von Ihnen behauptet“, befand sie mit einem hochmütigen Naserümpfen und klappte ihre Augengläser zusammen. „Ich nehme an, Sie können sämtliche Junggesellen der Saison zu Ihren Anbetern rechnen und haben unzählige Anträge erhalten?“
Angesichts der Richtung, die die sonderbare Befragung zu nehmen schien, trat ein wachsamer Ausdruck in Jessicas Augen. „Ich darf Ihnen versichern, Mylady, dass ich nicht nach London gekommen bin, um mir einen Ehemann zu suchen“, erwiderte sie vorsichtig. Inzwischen bewegte sie sich lange genug in den vornehmen Kreisen, um zu wissen, dass es ihr, gleichgültig wie aufgebracht sie über dieses unverschämte Verhör sein mochte, nicht gut zu Gesicht stehen würde, die Klingen mit einer Aristokratin des Königreichs zu kreuzen – schon gar nicht aller Öffentlichkeit und umringt von sämtlichen Würdenträgern und namhaften Mitgliedern der Londoner feinen Gesellschaft.
Lady Wyvern ließ ein verächtliches Lachen hören. „Tatsächlich!“, versetzte sie höhnisch. „Vielleicht wären Sie dann so gut, Mädchen, und würden mir erklären, weshalb Sie Ihre Netze nach meinem Enkelsohn ausgeworfen haben?“
Jessica rang fassungslos nach Luft. Ihre Wangen färbten sich flammend rot, vor Empörung ebenso wie vor Verlegenheit. Doch bevor sie in der Lage war, auch nur ein Wort zu äußern, sprach die Dowager Countess bereits weiter.
„Sie haben allen Anlass, zu erröten und sich zu winden, junge Dame“, erklärte sie mit einem befriedigten Nicken. „Aber seien Sie gewarnt – Ihre raffinierten Machenschaften werden Ihnen nichts einbringen. Nicht solange ich etwas in dieser Sache zu sagen habe.“
Nunmehr tödlich beleidigt, machte Jessica Anstalten, sich zu erheben. Doch Lady Wyvern legte ihr die Hand aufs Knie und hinderte sie daran aufzustehen. Offensichtlich war die Dame noch nicht fertig mit ihr.
„Schlagen Sie sich Wyvern aus dem Kopf“, fuhr sie eindringlich fort. „Er ist so gut wie verlobt. Was für Versprechungen er Ihnen auch immer gemacht hat, vergessen Sie sie – sie sind nichts als bedeutungsloses Liebesgeflüster. Wenn Sie nur einen Funken Verstand besitzen – und man versicherte mir, dass Sie eine äußerst vernünftige junge Dame sind –, lenken Sie Ihre Bemühungen in eine andere Richtung. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Es erstaunte Jessica, dass es ihr gelungen war, die Schmährede über sich ergehen zu lassen, ohne, wie früher, die Beherrschung zu verlieren. Versprechungen und Liebesgeflüster fürwahr! Man konnte beinahe meinen, die alte Hexe beschuldige sie, sich zu irgendwelchen schäbigen Stelldicheins mit ihrem vermaledeiten Enkelsohn getroffen zu haben, während sie in Wirklichkeit kaum mehr als ein Dutzend Worte mit dem Mann gewechselt hatte!
Sie holte ein paar Mal tief Luft und schaffte es auch diesmal, ihr berüchtigtes Temperament im Zaum zu halten. Doch gleichgültig, wie sehr sie sich bemühte, sämtliche Selbstbeherrschung der Welt konnte sie nicht davon abhalten, die Hand der Dowager Countess rüde von ihrem Knie fortzustoßen.
„Vollkommen klar, Euer Ladyschaft“, erwiderte sie knapp und stand auf. „Und nun, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, muss ich mich aufmachen und meine Netze nach einem anderen nichts ahnenden armen Gentleman auswerfen.“ Sie setzte ein unaufrichtiges Lächeln auf, knickste übertrieben und drehte sich, das schockierte Keuchen der Dowager Countess ignorierend, hocherhobenen Hauptes um, um sich zu entfernen.
Für den Augenblick hatte sie nicht den Wunsch, zu Miss Draycott und ihrem Kreis zurückzukehren. Stattdessen entschied sie sich, das Damenzimmer aufzusuchen, und steuerte den Ausgang zum Korridor an. Kaum jedoch hatte sie schwungvoll die Tür aufgezogen, sah sie sich dem Mann gegenüber, der noch vor einer Minute Gegenstand ihrer unerfreulichen Unterhaltung mit Lady Wyvern gewesen war.
Völlig unvorbereitet auf die plötzliche Begegnung mit dem Objekt seines Begehrens, konnte Benedict nichts anderes tun, als seinen Arm auszustrecken, um zu verhindern, dass die auf ihn zu stürmende Miss Beresford das Gleichgewicht verlor. Sein eigenes – innerliches – Ungleichgewicht, das ihr
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