Ich - der Augenzeuge
Grube fahren. Dann kannst du noch einmal heiraten, besser als das erstemal, und kannst dir die Kinderzimmer in deiner Villa mit Bambinos ausstaffieren. Und du, du kannst deine Geheimnisse in richtigen Lettern schreiben.«
Es mag sein, daß viele intelligente Kranke, die lange ans Bett gefesselt sind und nichts tun dürfen, mit der Zeit eine krankhafte Neugierde bekommen. So hatte sie nicht früher geruht und gerastet, als bis sie den ›Plan‹ meines Vaters aufgestöbert hatte. In diesem befanden sich tatsächlich zwei Räume, nach Osten gelegen, was man an einer eingezeichneten Windrose erkannte, und die in der Spezifikation als Kinderzimmer angegeben waren. Dies faßte die Arme so auf, daß mein Vater auf ihren baldigen Tod und auf eine zweite Ehe und neuen Kindersegen rechnete. Nun kann ein Hochbauingenieur zu seinem Vergnügen sich eine solche Wunschzeichnung machen mit Schnörkeln und Balkonen an der Fassade, spitzen Dächern, weiten Loggien, einfach zur Übung, aus Spaß. Der Plan war keineswegs neuesten Datums. Was mich erschreckte, war vielmehr, daß sie die Sache lange bei sich behalten hatte, daß sie also mehr wußte, als wir ahnten.
Mein Gewissen war nicht ganz rein. Ich habe schon früh den Wunsch gehabt, mir kleine Aufzeichnungen zu machen, um auch im Geist allein zu sein, es machte mich reich, stellte mich über die anderen, meine Geheimnisse zu haben. Es war mir gar nicht lieb, wenn ich sah, daß meine Mutter sie aufstöberte. Es waren die Jahre der Entwicklung. Religiöse Zweifel, Versuchungen meines Alters, gaben mir viel zu schaffen, mein Tagebuch half mir sehr, denn ich stand als Zeuge neben mir. Ich schrieb alles möglichst wahrheitsgetreu auf, und indem ich berichtete, richtete ich mich. Als ich nun merkte, daß die Mutter sich Kenntnis davon verschafft hatte – sie konnte es eben nicht ganz verschweigen, so wie sie auch jetzt die Sache mit dem Kinderzimmer ans Licht gebracht hatte –, gewöhnte ich mich daran, die Aufzeichnungen, die ziemlich kurz gehalten waren, in griechischen Lettern niederzuschreiben. Es war die Zeit, wo ich Griechisch lernte.
Ich muß sagen, man kann einen Menschen aus tiefster Seele lieben und ihn wie ein Stück von sich selbst betrachten, und kann doch den Wunsch hegen, ein Geheimnis vor ihm zu haben.
Dieser Ausbruch hatte keine guten Folgen. Ihrer Gesundheit nützte er nicht, der Arzt hatte recht: Weinen verboten. Mein Vater blieb bei seinen Plänen, vielleicht hatte er sie sich jetzt besonders in den Kopf gesetzt, und ich schrieb zwar keine Tagebücher mehr, sondern setzte für jeden Tag ein Hölzchen an, bald ein Brettchen, bald ein Zweiglein, mit eingekratzten Runen, die mich an etwas Bestimmtes erinnerten und die ich in einem ausgedienten Waschtisch aufbewahrte. Diese konnte niemand außer mir entziffern, und selbst mir gelang dies nach einer gewissen Zeit nur sehr schwer.
Eine gewisse Besserung in dem Befinden meiner Mutter war unverkennbar, machte aber nur langsame Fortschritte und bestand eigentlich darin, daß meine Mutter keinen Rückfall erlitt und daß die gefürchtete Punktion nie mehr wiederholt werden mußte. Als ich im letzten Jahrgang des Gymnasiums stand und mich auf die Reifeprüfung vorbereitete, entschloß sich meine Mutter endlich für das Sanatorium. Die Kosten waren nicht unbeträchtlich, sie trug die Bitte meinem Vater etwas furchtsam vor, er aber war mit seiner Zustimmung fast früher da, als sie zu Ende gesprochen hatte. Er sagte, alles, was ein bescheidener Beamter für seine geliebte kleine Frau tun könne, werde er leisten. Meine Mutter rüstete sich also zur Abreise, uns in Obhut einer häßlichen, trägen Köchin zurücklassend. Als der Zug aus der Halle war, bot mir mein Vater aus einem mir noch unbekannten prächtigen schweren Zigarettenetui aus blaugrauem Tulasilber eine gute Zigarette an.
Ich war seit dem letzten Sommer, in welchem Helmut mir diese Kunst beigebracht hatte, zu einem leidenschaftlichen Raucher geworden. Eigentlich hatte er mich in dieser Kunst nur auf den richtigen Weg gewiesen. Ich hatte schon lange vorher heimlich angefangen zu rauchen. Aber ich hatte nicht begriffen, daß man den Rauch einziehen muß, ich hatte den Atem durch die Zigarette durchgestoßen, wobei diese natürlich sehr gut brannte und im Dunkeln mächtig knisterte und funkelte ohne daß ich die geringsten Beschwerden bekam. Als ich nachher erfuhr, wie man es machen müsse, brauchte ich lange Zeit, um denselben Genuß wiederzuerlangen wie in der
Weitere Kostenlose Bücher