Ich. Die Autobiographie
erschöpft – und mittlerweile gelangweilt stärkten wir uns in einer Pizzeria. Als wir auf die Piazza zurückkehrten, gerieten wir mitten hinein in das Tohuwabohu von Dreharbeiten. Starregisseur Luchino Visconti filmte Szenen für »Sandra« mit Claudia Cardinale in der Hauptrolle. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Plötzlich wieder hellwach vor Neugierde, beobachtete ich dasspannende Drehgeschehen. Im Traum, meinem alten Schauspielertraum, spielte ich längst mit.
In den Abendstunden kühlte der Frühlings wind ab. Mir war kalt in meinem kurzärmeligen T-Shirt, aber wie unter Zwang konnte ich mich nicht fortbewegen. Damals wusste ich nicht, warum! Wie sollte ich ahnen, dass der Zufall längst seine Würfel geworfen hatte.
Fasziniert vom Filmgeschehen, bemerkte ich nicht die Blicke von Luchino Visconti, der trotz konzentrierter Drehanweisungen immer wieder meine schmale Gestalt am Set betrachtete, wie er mir später erzählte. Plötzlich überreichte mir einer seiner Assistenten einen wunderschönen grauen Kaschmirschal mit langen Fransen. Ich war verdutzt, legte völlig überrascht das feingewebte, weite Tuch um meine zitternden Schultern. Kurz nachdem eine Drehpause begonnen hatte, sprach mich der Meisterregisseur selbst an, fragte in perfektem Deutsch, was mich in diesen Ort gezogen hätte. Ich erzählte von meinen Besichtigungen und meinem Sprachstudium. Er lud mich und meinen Freund zum Mittagessen am nächsten Tag ein.
Seine Mietvilla für die Dauer der Dreharbeiten war mit Strohmöbeln im Biarritz-Stil eingerichtet. Ein altes Landhaus voller riesiger Blumensträuße in Bodenvasen. Mir wurde ganz schwindlig von dem Duft der Tuberose, der ähnlich intensiv ist wie das Parfüm »Fracas« von Piquet.
Mit dabei waren die für mich noch unbekannte Malerin Bice Brichetto und die Kostümbildnerin Prinzessin Domietta Hercolani, die auch die Kostüme für »Der Leopard« entworfen hatte. Während des ausgiebigen Lunchs wich mir der große Künstler nicht von der Seite. Extreme Anziehung verbarg sich dahinter. Bei mir nur geschmeichelte Eitelkeit und jugendliche Naivität, auch Angst vor meinen Gefühlen. Ich wollte nicht wie die anderen ein Spielzeug für Visconti sein.
Ich ergriff die Flucht. Aber nicht ohne meine Adressen in Perugia und Salzburg zu hinterlassen. So nah an der Erfüllung meiner Schauspielsehnsucht wollte ich keinen Fehler machen. Die folgenden Geschenke und Einladungen Viscontis nahm ich an, aber sie sollten mein Herz nicht zu schnell erweichen. Ich wollte mehr! Die Liebe und der Film waren mein Ziel. Die Spannung steigerte sich. Der große Italiener, 32 Jahre älter als ich, verfolgte mich wochenlang mit seiner Gunst.
Ich wusste natürlich, dass ich Visconti nicht ewig hinhalten konnte. Visconti war überhaupt meine erste richtige Beziehung. Das sagte ich ihm sofort. Betonte meine schüchterne Unbedarftheit in Bezug auf Männerbekanntschaften. Niemals zuvor hätte ich mit einem Mann geschlafen. Meine Erfahrungen seien gleich Null. Das erzählte ich ihm jedenfalls. Ich wollte kein One-night-Stand sein. Hatte ihm bewusst klargemacht, dass ich als Männerfreund noch Jungfrau sei, obwohl es nicht ganz stimmte. Aber die anderen vor ihm waren ohne Bedeutung, schnelle Abenteuer in der Dunkelheit der Nacht. Im Herbst 1964 wurden wir ein Paar. Und trennten uns bis zu Viscontis Tod 1976 nicht mehr.
Der Zufall diktierte die Reise nach Volterra! Ein grauer, feingewebter Kaschmirschal mit langen flauschigen Fransen war der Beginn meiner Weltkarriere. Das banale Accessoire knüpfte den Anfang der lebenslangen Liebe zwischen meinem genialen Meister und mir, seinem lernbegierigen Schüler, seinem Geliebten und seiner Muse zugleich. Eine Liebe, die uns beide wie durch eine unsichtbare Nabelschnur über den Tod von Luchino hinaus verbindet. Die Macht des Zufalls, eine der wenigen Ungeklärtheiten unserer Zeit, ermöglichte mir mein Lebensglück. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich an jenem Wochenende nach Assisi gefahren wäre?
Ich wollte unbedingt eine dauerhafte Beziehung. Ich wollte nach Paris. Ich wollte Luxus. Er hatte ein Appartement mit vier Zimmern im »Barcley Hotel« an der Ave Montaine. Leider gibt es dieses prächtige Haus nicht mehr. Jetzt gab es keine weitere Ausrede mehr. Ich war dran. Das Warten hatte sich gelohnt. In jeder Beziehung. Er war ein erfahrener Mann. In Paris wussten wir, dass unsere Affäre einer Verlobung gleichkam. Für ein Leben, wie sich später herausstellte. Aber
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