Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
sagte über ihn, er hätte noch niemals seinen Dienstausweis vorgezeigt. Bergmann kam überall rein. Wie er das machte? Das wusste keiner. Wenn man ihn fragte, schmunzelte er nur und sagte Sachen wie: »Kümmer du dich um dein Zeug, ich mich um meines.« Schweigend genoss er die Aura des Geheimnisvollen. Ja, auch ich hätte nur allzu gern gewusst, wie er das immer wieder schaffte. Es klingelt, und da steht ein fremder Mann vor der Tür und sagt: »Wir wollen in Ihre Wohnung. Für ein paar Wochen. Dazu benötigen wir einen Schlüssel und die Möbel müssen weg. Wir brauchen Platz.«
Sicher, diese Untermiete wird bezahlt, pünktlich, aber nicht fürstlich. Trotzdem bedeutete es eine erhebliche Einschränkung für die Bewohner. Aber Bergmann überzeugte sie alle. Er war mein Mann.
Ich rief ihn an und schilderte kurz, worum es ging.
»Pressiert’s?«, fragte er.
»Sehr«, sagte ich.
»Dann geht’s nicht«, sagte er. »Ich bin hier zwei Wochen in eine Mission eingebunden und komm nicht raus. Bin auch nur noch eine Stunde erreichbar. Du hast Glück, dass du mich überhaupt erwischst.«
»Nein, Pech«, korrigierte ich und fragte nach einer Alternative: »Wer kann es machen, wenn nicht du?«
Bergmann zögerte. Dann sagte er: »Schau in den Spiegel.«
Vorfreude stieg in mir hoch. Jetzt würde er mir seinen Trick verraten und mich in die Methoden einweihen, die ihn zur Legende gemacht hatten. »Und wie?«
»Auf deine Art«, sagte er. »Du schaffst das«, und legte auf.
Als ich Sabine von dem Gespräch erzählte, weihte sie mich in ein Geheimnis ein. Auf der Jubiläumsfeier vom VP hatte Bergmann nach einigen Bieren offengelegt: »Wisst ihr, warum ich in fünfunddreißig Jahren beim Dienst kein einziges Mal meine Legitimation gezeigt habe?«
»Weil du Geheimagent bist!«, hatte einer von den Kollegen gerufen und damit schallendes Lachen ausgelöst.
»Weil ich mich in Grund und Boden geschämt hätte, das zu sagen und dann unseren Plastik-Dienstausweis vorzuzeigen, der ausschaut wie die Kundenkarte einer Apotheke.«
Die Mieterin
Zwei Stunden später drückte ich die Klingel mit dem Namen Mühlthaler und legte mein Ohr an die Sprechanlage, denn es war sehr laut an der Straße. Die Stimme, die mir ins Ohr brüllte, übertönte alles. Selbst die quietschenden Straßenbahnschienen.
»Weg da, ich kauf nix!«
»Das trifft sich gut. Ich hab nix zu verkaufen.«
Schweigen. Ich war nicht sicher, ob Frau Mühlthaler mich verstanden hatte, und wiederholte meine beiden Sätze lauter.
»Sie brauchen nicht zu schreien.«
»Ja.«
»Was wollen Sie dann?«
»Zwei Minuten von Ihrer Zeit. Innenministerium.«
Dies war der Moment, in dem ich begann, meine eigene Methode zu entwickeln. Es dauerte eine Minute, bis Frau Mühlthaler den Türöffner betätigte – ohne zu wissen, worum es ging.
An den Briefkästen im Erdgeschoss klebten handgeschriebene Namensschilder, drei Kinderwagen machten den Weg zur Treppe zum Hindernislauf. Irgendwo bellte ein Hund, Maschinengewehrsalven feuerten aus einem Fernseher. Ein junger Mann mit Handy am Ohr und einem Pfund Pomade im schwarzen Haar begegnete mir am ersten Treppenabsatz, nickte mir freundlich zu. Im Treppenhaus roch es nach internationaler Küche. Erster Stock würzig, zweiter Stock deftig, dritter Stock Duftreis. Noch ein Stockwerk Zeit, eine Strategie zu entwickeln für diesen Fall, den ich mir auf der Anfahrt anders ausgemalt hatte. Soviel ich bislang von Frau Mühlthaler wusste, würde sie es mir nicht leicht machen. Aber einfach war diese Mission ohnehin nicht.
Was ich von ihr wollte, war viel verlangt. Sehr viel. Für viele vermutlich zu viel.
Was? Aus meiner Wohnung heraus wollen Sie ein kriminelles Nest ausheben? Drogenbosse? Waffenhändler? Plutoniumschmuggel? Rockerbanden? Menschenhändler? Eine Einsatzzentrale einrichten? Bei mir? Überwachungsanlagen installieren? Rund um die Uhr besetzen? Mit Straßenschuhen durch mein Wohnzimmer? Und wenn was kaputtgeht? Was ist mit meiner Privatsphäre? Wo wohne ich so lang? Was werden die Nachbarn denken? Und was ist, wenn die Mörder und Verbrecher davon Wind kriegen? Wenn die mir die Scheiben einwerfen? Auszug? Umzug? Zeugenschutzprogramm? Bin ich in Gefahr? Wie sieht meine Zukunft aus? Unter falschem Namen auf einer fernen Insel leben? Wo soll ich mir da meine Hörzu kaufen? Einen alten Baum verpflanzt man nicht!
Ich klingelte im vierten Stock, sofort öffnete sich die Tür und krachte in die Sperrkette. Als
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