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Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)

Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)

Titel: Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Martin
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Erstes sah ich zwei wache Augen in einem rundlichen Gesicht. Die ganze Frau war rundlich und klein. Graue Haare, Dutt, beige-blaue Schürze mit Blumenmuster.
    Ich stellte mich vor. »Mein Name ist Martin, Leo Martin. Ich komme vom Innenministerium.« Als Mitarbeiter des Innenministeriums trat ich immer dann auf, wenn ich Unterstützung von außen brauchte. Für solche Fälle hatte ich auch eine Apotheken-Kundenkarte.
    »Sie wollen den Strom ablesen?«
    »Nein.«
    »Stromableser lass’ ich auch nicht rein. Das mache ich nämlich schriftlich. Und meine Enkel kenne ich. Also, wenn ich welche hätte. Ich habe aber keine. Deshalb können Sie auch keiner sein.«
    »Also, ich kenne meine Oma auch«, sagte ich. »Und Sie sind das nicht. Meine Oma wäre nämlich nicht so misstrauisch wie Sie. Und ich wäre froh, wenn sie da ein bisschen was von Ihnen hätte.«
    »Ich bin nicht misstrauisch, sondern vorsichtig«, korrigierte Frau Mühlthaler.
    »Das finde ich gut«, bestätigte ich sie.
    »Und von welchem Ministerium kommen Sie jetzt?«
    »Vom Innenministerium.«
    »Das kann jeder behaupten.«
    Ich griff in meine rechte Gesäßtasche. »Ich zeige Ihnen meinen Dienstausweis.«
    »Den können’s stecken lassen. Des hamma gleich.«
    Sie reichte mir einen Zettel und einen Stift unter der Kette durch: »Name und Adresse von dem Ministerium.«
    Ich notierte.
    Sie nahm den Zettel und schloss die Tür.
    Ich setzte mich auf eine Stufe und grinste. Lustig, die alte Dame. Zum ersten Mal gefiel mir dieser Fall richtig gut. Durch die geschlossene Tür hörte ich dumpf, wie sie die Auskunft anrief: »Mühlthaler, Theresia, bitte, ich brauche eine Nummer aus München, von dem, Achtung, Stahats-mini-sterhi-uhum des Inneren.« Es dauerte eine Weile, dann wiederholte sie jede der Ziffern einzeln. Ich nickte sie alle ab. Im Anschluss rief sie dort an und bekam die Auskunft, dass ich keine Halluzination war, kein falscher Enkel, sondern echt. Auf den Treppenstufen vor ihrer Wohnung. Frau Mühlthaler hatte ihre Sinne beieinander. Nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür ohne Sperrkette, und die alte Dame bat mich herein.
    »Sie gehen auf Nummer sicher, das gefällt mir«, nickte ich anerkennend.
    »Hier geht man nicht mit Straßenschuhen rein.«
    »Okay.«
    Frau Mühlthaler wartete, bis ich meine Schuhe ausgezogen hatte, zog eine Plastiktüte unter einem Garderobenschränkchen hervor und stellte sie darauf. Obwohl sie ziemlich dick war, bewegte sie sich flink und geschmeidig.
    »Bitte«, bat sie mich weiterzugehen.
    Ich scannte die Räume, in denen es übelkeitserregend nach Duftspray roch. In jedem Raum anders. Das olfaktorische System des Treppenhauses wiederholte sich hier. Duftzonen waren markiert. Gang, links das Wohnzimmer, geradeaus die Küche, kleines Bad, eine geschlossene Tür, vermutlich das Schlafzimmer. Im Wohnzimmer war ich mit vier schnellen Schritten am Fenster und schaute hinunter zu Sarai-Reisen. Der Winkel war besser als erwartet. Doch, das würde gehen. Gut sogar.
    Frau Mühlthaler stellte sich neben mich und öffnete das Fenster. Sie trug einen Ehering.
    »Ganz schön laut hier«, sagte ich.
    »Ich schlafe hinten raus.«
    »Sie fragen sich wahrscheinlich …«, begann ich.
    »Kaffee?«
    Nein, ich wollte jetzt keinen Kaffee. Gerade hatte ich zwei Tassen mit Sabine getrunken, während wir Ist- und Soll-Maßnahmen abglichen.
    Trotzdem antwortete ich: »Gerne.«
    »Ich komme gleich wieder«, sagte Frau Mühlthaler und ließ mich im Wohnzimmer allein. Eiche rustikal, schwere Teppiche, getäfelte Holzdecke, dicke braune Vorhänge, alles sehr ordentlich und sauber. In dem Wohnzimmer hatte sich in den letzten fünfzig Jahren – so lange lebte Frau Mühlthaler in diesem Haus – wohl nur wenig verändert. Auf einer Kommode einige Fotos in beschlagenen Messingrahmen. Frau Mühlthaler im Brautkleid, mit geflochtenen Perlen im geschmücktem Haarzopf bis zur Taille, ihr Mann auf einem Motorrad, die beiden in einer Gondel; Venedig in den Sechzigern, letztes Jahrtausend.
    »Erich ist jetzt zwanzig Jahre tot.« Ich hatte sie gar nicht gehört. Der Teppich schluckte alles. »Zucker und Milch?«
    »Schwarz bitte.«
    Und schon war sie wieder in der Küche.
    Ich überlegte, wie wir unser Equipment hier unterbringen konnten, vorausgesetzt Frau Mühlthaler würde zustimmen. Sie würde auf ein Drittel ihres Wohnzimmers verzichten müssen. Auf zwei Meter Wohnfläche vor dem Fenster – und das auf der gesamten Breite. Die Blumentreppe und

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