Ich durchschau dich!: Menschen lesen - Die besten Tricks des Ex-Agenten (German Edition)
der Ohrensessel mussten weg. Der Schrank stand zum Glück nicht direkt am Fenster. Es wäre machbar ohne großes Möbelrücken. Wir würden den Raum vor dem Fenster mit einer schwarzen Wand abdunkeln. Dazu würden wir zwei oder drei Stative zwischen Boden und Decke spannen an Quertraversen einen schwarzen Moltonvorhang aufhängen und damit die Wohnung von außen uneinsehbar wäre. Sonst würde man die Stative mit den Kameras, die Flightcases mit den Rekordern, Kabeltrommel und diverse andere Technik sehen, wenn abends im Raum das Licht angeschaltet war.
»Der Kaffee ist fertig«, meldete Frau Mühlthaler und deckte den Tisch im Wohnzimmer. Es gab nicht nur Kaffee, sondern auch Kekse, Prinzenrolle. Fünf Stück, auf großem Gedeck. Geschirr mit Blumenmotiven, blauer Enzian auf weißem Grund, vermutlich älter als ich. Frau Mühlthaler brachte den Kaffee, rückte umständlich die Teller zurecht, dann goss sie ein, trug die Kanne zurück in die Küche auf die Warmhalteplatte der Maschine.
»Machen Sie bitte zum Kaffeetrinken das Fenster zu«, bat sie mich.
Ich schloss es.
»Bitte setzen Sie sich.«
Ich nahm Platz.
»Bitte greifen Sie zu.«
Ich nahm einen Keks. Eine innere Stimme riet mir, nichts zu übereilen, die Abläufe zu befolgen, die Frau Mühlthaler vorgab. War das die Bergmann’sche Methode? Nachdem die alte Dame zwei Kekse verspeist und die Krümel, die sie auf dem Teller hinterlassen
hatte, mit angefeuchtetem Zeigefinger aufgepickt und abgeschleckt hatte, wollte sie endlich wissen: »Worum geht es?«
In Sekundenbruchteilen entschied ich mich für die pathetische Variante. »Um unser Land«, sagte ich.
»So etwas habe ich schon vermutet«, erstaunte mich Frau Mühlthaler.
»Wir brauchen Ihre Hilfe.«
Frau Mühlthaler wirkte irritiert und geschmeichelt zugleich.
Ich fuhr fort. »Von Ihrer Wohnung aus hat man gute Sicht auf ein Objekt, für das wir uns interessieren.«
»Sarai-Reisen«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Wieso glauben Sie das?«
»Sonst ist ja im Haus gegenüber nichts. Nur die Büroräume von der Versicherung. Oder ist da ein Überfall geplant?« Neugierig schaute sie mich an.
»Ich kann Ihnen keine Details erzählen. Bloß so viel: Wir haben einen schlimmen Verdacht in einem Kriminalfall. Um die Verdachtsmomente zu bestätigen oder auszuschließen, müssen wir eine versteckte Videoüberwachungsanlage installieren. Dafür kommt nur Ihre Wohnung in Betracht. Konkret brauchen wir den Platz vor dem Fenster«, ich deutete darauf. »Da würden wir unsere Technik aufstellen.«
»Wie lange dauert das insgesamt?«
»Maximal vier Wochen«, sagte ich. Frau Mühlthaler schluckte und schwieg. In anderen Fällen hätte ich den Zeitraum nicht so präzise benennen können. »Jeden Tag wird jemand vorbeischauen, die Daten sichern und die Bänder wechseln. Wenn es hart auf hart kommt, müssten wir hier zeitweise eine Einsatzzentrale einrichten und unsere Observationsmaßnahmen von hier aus steuern.«
»Wie soll ich mir das vorstellen?«
Ich erklärte Frau Mühlthaler, was sie bestimmt schon einmal im Fernsehen gesehen hatte. »Der Fall ist sehr sensibel. Wir müssen
unsere Zielperson so lange es geht beobachten und dürfen dabei auf keinen Fall Verdacht erregen. Das geht nur von einer sicheren Basis aus. Und nur mit direkter Sicht auf das Zielobjekt. Wir müssen alles wissen. Jeder Mensch und jedes Fahrzeug, das mit unserer Zielperson im Kontakt tritt, ist für uns wichtig. Wir können unsere Observationsfahrzeuge nicht vor seiner Tür parken. Wir überwachen von hier aus und steuern die Kollegen auf der Straße, ohne dass diese direkt auf Sicht stehen müssen.«
Frau Mühlthaler trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken. Sie dachte nach. Ich unterbrach sie nicht dabei. Schließlich sagte sie: »Ich überlege es mir.«
Das gefiel mir nicht. Ich wollte ein klares Ergebnis, und das sagte ich ihr auch.
»Junger Mann, ich habe mir vor etwa einem halben Jahrhundert abgewöhnt, wichtige Entscheidungen ad hoc zu treffen. Ich schlafe eine Nacht lang darüber.«
Ich merkte, dass ich kaum eine Chance hatte, und versuchte es trotzdem. Frau Mühlthaler unterbrach mich. »Ich lasse mich nicht drängeln. Ich brauche Bedenkzeit.« Sie schmunzelte. »Und die werden Sie mir wohl oder übel zugestehen müssen. Es ist meine Wohnung. Als ich hier eingezogen bin mit meinem Erich, da waren ausschließlich Deutsche im Haus. Dann sind die ersten Gastarbeiter gekommen, damals aus Italien. So nette Leute
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