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Ich finde dich

Ich finde dich

Titel: Ich finde dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harlan Coben
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Student vorenthalten hatte. Ich nehme an, das College war irgendwann zu dem Schluss gekommen, es wäre zu aufwendig, sämtliche Akten zu lagern. Und so hatten sie sie digitalisiert.
    Ich fing ganz vorne an, mit Todds erstem Studienjahr. Es gab eigentlich nichts wirklich Spektakuläres, außer, na ja, dass Todd ein wirklich spektakulärer Student war. Seine Noten lauteten ausnahmslos Eins plus. Kein Erstsemesterstudent bekam durchgängig die Note Eins plus. Professor Charles Powell merkte an, dass Todd ein »außergewöhnlicher Student« wäre. Professor Ruth Kugelmass schwärmte: »Ein ganz besonderer Bursche.« Selbst Professor Malcolm Hume, der nicht für unverdientes Lob zu haben war, kommentierte: »Todd Sanderson ist fast übernatürlich begabt.« Wow. Ich fand das eigenartig. Ich war wirklich ein guter Student gewesen, in meiner Akte hatte es jedoch nur eine Anmerkung gegeben – und die war negativer Natur. Wenn alles seinen Gang ging, hielten die Professoren sich einfach zurück und gaben sich mit der Note zufrieden. Die Faustregel in Studentenakten lautete offenbar: »Wenn es nichts Negatives zu sagen gibt, sag nichts.«
    Bei dem guten, alten Todd war das allerdings anders.
    Das erste Semester im zweiten Studienjahr lief nach dem gleichen Muster ab – unglaubliche Noten –, dann kippte es plötzlich. Neben dem zweiten Semester stand ein großes FREIGESTELLT .
    Freigestellt?
    Hm. Ich suchte nach einer Erklärung, las aber lediglich, dass es sich um »private Gründe« handelte. Das war seltsam. In einer Studentenakte belässt man es nur selten – wenn überhaupt – bei »privaten Gründen«. Schließlich ist die Akte vertraulich und für Dritte unzugänglich. Zumindest sollte sie das sein. Und so konnte man hier ganz offen formulieren.
    Warum wurde mit Todds Freistellung also so behutsam umgegangen?
    Normalerweise handelt es sich bei »privaten Gründen« um finanzielle Probleme oder eine Krankheit, entweder des Studenten selbst oder eines engen Verwandten, wobei sowohl physische als auch mentale Krankheiten in Frage kamen. Solche Gründe werden in den Personalakten eines Studenten jedoch immer genannt. Hier allerdings nicht.
    Interessant.
    Oder auch nicht. Erstens war man mit privaten Angelegenheiten vor zwanzig Jahren vermutlich diskreter umgegangen. Und zweitens … na ja, wen interessierte es? Was in aller Welt sollte Todds Auszeit im zweiten Studienjahr damit zu tun haben, dass er Natalie geheiratet hatte, dann gestorben war und eine andere Ehefrau hinterlassen hatte?
    Als Todd aufs College zurückkehrte, gab es weitere Kommentare von Professoren – jetzt aber keine mehr, auf die ein Student stolz hätte sein können. Er wirke »abwesend«, bescheinigte ihm ein Professor. Ein anderer merkte an, dass Todd offensichtlich »verbittert« und »nicht derselbe wie früher« wäre. Es wurde auch der Vorschlag gemacht, Todd solle sich eine weitere Auszeit nehmen, um »die Situation« zu klären. Niemand erwähnte jedoch, worin diese »Situation« bestand.
    Mit einem Klick blätterte ich zur nächsten Seite. Todd musste vor dem Disziplinarausschuss erscheinen. Manche Colleges lassen disziplinarische Angelegenheiten von studentischen Gremien klären, wir haben dafür einen turnusmäßig wechselnden, dreiköpfigen Professorenausschuss. Im Laufe des letzten Jahres war ich zwei Monate lang Mitglied dieses Ausschusses gewesen. In den meisten Fällen, die uns vorgelegt wurden, ging es um eine der beiden großen Campus-Epidemien: Alkoholkonsum von Minderjährigen oder Täuschungsversuche bei Hausarbeiten und Prüfungen. Dazu kamen ein paar Diebstähle, Androhung von Gewalt und unterschiedliche Formen sexueller Aggression oder Gewalt, die nicht so gravierend waren, dass man Polizei oder Gerichte einschalten musste.
    Bei dem Fall, der damals vom Disziplinarausschuss verhandelt worden war, ging es um eine Auseinandersetzung zwischen Todd und einem anderen Studenten namens Ryan McCarthy, der mit Prellungen und einer gebrochenen Nase ins Krankenhaus eingewiesen worden war. Das College verlangte eine lange Suspendierung oder sogar den Verweis vom College, doch der dreiköpfige Professorenausschuss ließ Todd ungeschoren davonkommen. Das überraschte mich. Es gab weder ein Protokoll der Anhörung, noch fanden sich in der Akte Einzelheiten darüber oder über die folgenden Beratungen. Auch das überraschte mich.
    Die Entscheidung war handschriftlich in der Akte vermerkt:
    Todd Sanderson, ein herausragendes Mitglied der

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