Ich finde dich
nur vergessen haben?«
Sarkasmus steht Geistlichen im Allgemeinen nicht besonders gut, bei Reverend Kelly saß er jedoch wie angegossen. Ich fragte weiter: »Die Braut hieß Natalie Avery. Sie war Malerin und hat eine Zeit im Creative-Recharge-Refugium verbracht.«
»Im was?«
»Im Creative Recharge. Denen gehört doch das Grundstück hier, stimmt’s?«
»Wovon reden Sie? Das Land gehört dem Ort.«
Ich wollte keinen Streit über Urkunden und Grundstücksgrenzen anfangen, also probierte ich eine andere Herangehensweise. »Die Hochzeit wurde erst sehr kurzfristig angemeldet. Vielleicht steht sie deshalb nicht in den Büchern?«
»Tut mir leid, Mr …?«
»Fisher. Jake Fisher.«
»Mr Fisher. Erstens, selbst wenn sie erst in letzter Sekunde angemeldet wurde, stünde sie mit Sicherheit in den Büchern. Zweitens, also … ich bin etwas verwirrt … Wonach genau suchen Sie eigentlich?«
Lucy Cutting antwortete für mich: »Nach dem Nachnamen des Bräutigams.«
Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Wir sind kein Auskunftsbüro, Miss Cutting.«
Sie sah angemessen beschämt zu Boden.
»Sie müssen sich an die Hochzeit erinnern«, sagte ich.
»Tut mir leid, aber das tue ich nicht.«
Ich trat näher und starrte auf ihn hinunter. »Doch, das tun Sie. Da bin ich mir sicher.«
Ich hörte die Verzweiflung in meiner Stimme, und das gefiel mir nicht. Reverend Kelly versuchte, mir in die Augen zu sehen, schaffte es aber nicht ganz. »Unterstellen Sie mir, dass ich lüge?«
»Sie erinnern sich«, sagte ich. »Warum helfen Sie mir nicht?«
»Ich erinnere mich nicht«, sagte er. »Aber warum sind Sie so versessen darauf, die Frau eines anderen Mannes zu finden, eine seit Kurzem verwitwete Frau, falls Ihre Geschichte wahr sein sollte?«
»Um ihr mein Beileid auszusprechen.«
Meine Worte hingen hohl und träge in der schwülen Luft. Niemand rührte sich. Niemand sagte etwas. Schließlich brach Reverend Kelly das Schweigen.
»Ganz egal, warum Sie diese Frau suchen, wir werden uns nicht daran beteiligen.« Er trat einen Schritt zurück und deutete auf die Tür. »Es wäre wohl besser, wenn Sie jetzt gehen.«
Wieder einmal taumelte ich betrogen und mit gebrochenem Herzen den Pfad zum Dorf hinunter. Ich hatte sogar ein gewisses Verständnis für das Verhalten des Reverends. Falls er sich an die Hochzeit erinnerte – und ich nahm an, dass er das tat –, würde er Natalies verlassenem Ex keine Informationen zukommen lassen, die besagter Ex nicht sowieso schon hatte. Meine Hypothese mochte etwas extrem erscheinen, aber sie war zumindest plausibel. Ich fand jedoch keinerlei plausible, weit hergeholte oder sonstige Erklärung dafür, warum Lucy Cutting in den fast perfektionistisch geführten Aufzeichnungen keinen Hinweis auf Todds und Natalies Vermählung gefunden hatte. Und warum um alles in der Welt hatte niemand je etwas vom Creative-Recharge-Refugium gehört?
Ich bekam das einfach nicht zusammen.
Was tun? Ich war in der Hoffnung hergekommen … ja, in welcher Hoffnung eigentlich? Erstens in der Hoffnung, Todds Nachnamen zu erfahren. Damit hätte ich der Sache ein schnelles Ende setzen können. Ansonsten … vielleicht stand ja jemand anders hier noch mit Natalie in Kontakt? Auch dieser Weg könnte zu einem schnellen Ende führen.
»Versprich es mir, Jake. Versprich mir, dass du uns in Ruhe lässt.«
Das waren die letzten Worte, die die Liebe meines Lebens zu mir gesagt hatte. Die allerletzten. Und jetzt stand ich hier, sechs Jahre später, an dem Ort, an dem alles angefangen hatte, um mein Wort zu brechen. Ich horchte einen Moment lang in mich hinein, um die Ironie darin zu entdecken, fand sie aber nicht.
Als ich ins Ortszentrum kam, stieg mir der Duft von frischem Gebäck in die Nase. Das Kraftboro Bookstore Café . Natalies Lieblings-Scones. Ich überlegte kurz und beschloss, dass es einen Versuch wert war.
Als ich die Tür öffnete, läutete eine kleine Glocke, doch das Geräusch war schnell verklungen. Elton John sang, dass der Name des Kindes Levon sei und er ein guter Mann werden würde. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Beide Tische waren besetzt, also auch unser alter Lieblingstisch. Ich starrte ihn an, stand einfach nur wie ein Idiot da und glaubte einen Moment lang, Natalies Lachen zu hören. Ein Mann mit einer kastanienbraunen Baseballkappe versuchte, hinter mir das Café zu betreten, was nicht möglich war, da ich noch in der Tür stand.
»Äh, Verzeihung«, sagte er.
Ich trat zur
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