Ich folge deinem Schatten
nicht mit alten Zeitungen ausgestopft ist?«
Du kannst mir nicht trauen, dachte er. Er griff nach dem doppelten Scotch, den er sich, wie er sich geschworen hatte, eigentlich erst nachher genehmigen wollte, und sagte: »Gloria, in diesem ganz und gar unwahrscheinlichen Fall kannst du immer noch auf Plan B zurückgreifen. Nimm dir einen Anwalt, erzähl ihm deine Geschichte, er arrangiert dir einen Buchvertrag, dann gehst du zur Polizei. In der Zwischenzeit ist Matthew, gesund und munter, gefunden worden, und alles, was er erzählen kann, ist, dass eine Glory auf ihn aufgepasst hat.«
»Ich habe ihm viele Bücher vorgelesen. Er ist schlauer als die meisten Kinder in seinem Alter.«
Ja, ja, du warst eine richtige Mutter Teresa, dachte er sich. »Gloria, es wird bald vorbei sein, und dann bist du eine gemachte Frau.«
»Gut. Tut mir leid, dass ich dich vorher verärgert habe.
Es ist nur wegen dieser Frau, sie wohnt ganz in der Nähe und ist heute Morgen vorbeigekommen, um mir ihre blöden Muffins zu bringen. Sie wollte herumschnüffeln und mich aushorchen.«
»Von ihr hast du mir noch gar nichts erzählt«, sagte er leise. »Hat sie Matthew zu Gesicht bekommen?«
»Nein, aber seinen Spielzeuglaster. Sie hat sich mir als ganz tolle Babysitterin anempfohlen, falls ich mal eine bräuchte. Ich habe ihr erzählt, dass mir meine Schwester beim Umzug geholfen hat und der Laster von ihrem Sohn stammt.«
»Klingt doch recht überzeugend.«
»Die Immobilienmaklerin ist eng mit dieser alten Schachtel befreundet. Ihr habe ich gesagt, ich würde allein einziehen. Sie ist genauso neugierig. Ich habe sie am frühen Morgen vorbeifahren sehen.«
Ihm brach der Schweiß aus. Kleine Ursache, große Wirkung … Mögliche Szenarien schossen ihm durch den Kopf. Was, wenn die vorwitzige Alte mit ihren Muffins ihrer Immobilien-Freundin davon erzählte? Darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.
Ihm lief die Zeit davon.
Nur mit Mühe gelang es ihm, beruhigend zu klingen. »Gloria, handel dir nicht unnötigen Ärger ein. Zähl einfach die Tage runter.«
»Das tue ich, darauf kannst du Gift nehmen. Und es geht nicht nur um mich. Der Junge will sich nicht mehr verstecken lassen. Er will sich auf die Suche nach seiner Mutter machen.«
34
Um 19 Uhr, zum Ende der Nachrichten auf Channel 2, traf Kevin Wilson bei seiner Mutter ein. Nachdem er zweimal geklingelt hatte, öffnete er mit seinem eigenen Schlüssel die Tür – eine Vereinbarung, die sie vor langer Zeit getroffen hatten. »Dann muss ich nicht an die Tür rennen, wenn ich gerade telefoniere oder mich umziehe«, hatte seine Mutter damals erklärt.
Doch als er eintrat, war die kleine, weißhaarige, einundsiebzigjährige Catherine »Cate« Kelly Wilson weder am Telefon noch in ihrem Schlafzimmer. Sie klebte vor dem Fernseher und sah noch nicht einmal auf, als er in der Tür zum Wohnzimmer stand.
Die Drei-Zimmer-Wohnung, die er ihr gekauft hatte, lag in der Fifty-seventh Street, in der Nähe der First Avenue. Die nächste Bushaltestelle lag nur um die Ecke, in Gehweite gab es ein Kino, und einen Block entfernt – und für sie am wichtigsten – befand sich die St.-Johannes-Evangelist-Kirche.
Noch immer musste er lächeln, wenn er daran dachte, wie widerwillig seine Mutter drei Jahre zuvor aus ihrer alten Gegend weggezogen war, nachdem er es sich hatte leisten können, ihr dieses Apartment zu kaufen. Mittlerweile liebte sie ihre neue Wohnung.
Er ging zu ihrem Sessel und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Hallo, mein Lieber. Setz dich«, sagte sie und schaltete, ohne aufzublicken, auf einen anderen Sender um. »Jetzt kommen gleich die Headline News, ich würde sie gern sehen.«
Kevin hatte Hunger und sich bereits auf Neary’s Pub gefreut, sein Lieblingslokal, das noch dazu den Vorteil hatte, gleich auf der anderen Straßenseite zu liegen.
Er ließ sich auf der Couch nieder und sah sich um. Die Couch und der dazugehörige Sessel, in dem seine Mutter saß, gehörten zu ihren alten Möbeln, von denen sie sich trotz allen Zuredens keinesfalls hatte trennen wollen. So hatte Kevin beide Stücke neu polstern und auch ihr altes Ehebett wieder herrichten lassen. »Das ist Streifenmahagoni, Kevin«, hatte sie gesagt. »Das gebe ich nicht her.« Er hatte auch ihre Esszimmermöbel reparieren lassen, die »viel zu gut zum Wegwerfen« waren. Allerdings hatte sie ihm gestattet, den fadenscheinigen Teppich durch einen neuen mit gleichem Muster zu ersetzen. Er hatte kein Wort darüber
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