Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
Angst zu haben, und ich beneide ihn um seine Haltung. »Du musst deinen Puls runterkriegen«, sagt er. »Atme genau wie ich.«
Er macht 3 kurze Atemzüge, hält ein paar Sekunden die Luft an und atmet dann langsam aus. Ich versuche es ihm gleichzutun, aber es gelingt mir nicht besonders gut.
»Okay. Ich möchte, dass du so –« Er verstummt, blickt rasch die Straße entlang. Wir müssen weiterlaufen.
Schüsse zerreißen die Luft. Mir war nie bewusst, wie laut sie sind und wie heftig dieses Geräusch einen Körper erschüttern kann. Ein eisiger Schauer überläuft mich, und ich begreife plötzlich, dass die nicht mich töten wollen. Sondern Adam.
Eine neue Angst würgt mich. Ich darf nicht zulassen, dass sie ihm etwas antun.
Nicht wegen mir.
Adam reagiert sofort. Mit einer raschen Bewegung nimmt er mich auf die Arme und sprintet eine Gasse entlang.
Rennt im Zickzack.
Und ich atme.
Er schreit »Halt dich an mir fest«, und ich lasse sein T-Shirt los und schlinge die Arme um seinen Hals. Er rückt mich zurecht, damit ich dichter an seiner Brust liege, und läuft weiter, als sei ich federleicht.
Ich schließe die Augen und schmiege meine Wange an seinen Hals.
Irgendwo hinter uns knallen Schüsse, aber sogar ich kann hören, dass sie weit weg sind und aus der falschen Richtung kommen. Vorerst scheinen wir unseren Verfolgern entkommen zu sein. Auch ihre Autos können uns nicht finden, weil Adam nur durch schmale Gassen läuft. Er scheint sich auszukennen und ein Ziel zu haben, als habe er das alles schon lange geplant.
Nachdem Adam 594 Mal ausgeatmet hat, setzt er mich vor einem Maschendrahtzaun ab. Ich merke, dass er um Luft ringt, aber er keucht immer noch nicht so heftig wie ich zuvor. Er kann seine Atmung steuern, sein Herz beruhigen, seine Organe im Griff behalten. Er weiß, wie man überlebt. Ich hoffe, dass er es mir beibringen wird.
»Juliette«, sagt er, nachdem er wieder zu Atem gekommen ist. »Kannst du über diesen Zaun klettern?«
Ich bin so versessen darauf, nicht nur eine nutzlose Last zu sein, dass ich beinahe über den Zaun springe. Aber ich bin unachtsam, zerreiße mir das Kleid noch weiter und ziehe mir Kratzer an den Beinen zu. Kneife vor Schmerz die Augen zu, und als ich sie wieder öffne, steht Adam schon neben mir.
Er blickt an meinen Beinen hinunter und seufzt. Ich muss völlig verwildert aussehen in dem zerfetzten Kleid, das bis zur Hüfte aufgerissen ist.
Wir gehen rasch weiter, rennen aber nicht mehr. Ich nehme an, dass wir nicht mehr direkt in Gefahr sind, bin mir aber nicht sicher, ob ich Fragen stellen oder sie vorerst für mich behalten soll. Adam reagiert auf meine stummen Gedanken.
»Hier können sie mich nicht mehr aufspüren«, sagt er, und mir wird klar, dass die Soldaten wohl alle mit einem Peilsender versehen sind. Ich frage mich, wieso ich keinen habe.
Es ist im Grunde merkwürdig, dass wir so leicht flüchten konnten.
»Wir tragen keinen Sender oder so etwas«, erklärt Adam, als wir nach links auf einen Weg einbiegen. Die Sonne versinkt hinterm Horizont. Ich frage mich, wo wir sind, so weit entfernt von jeder menschlichen Ansiedlung. »Stattdessen wird uns ein spezielles Serum eingespritzt«, fährt Adam fort. »Die Messdaten geben dann Auskunft über unseren Zustand. Zum Beispiel, wenn ich sterbe. Auf diese Art weiß man zum Beispiel, wenn Soldaten im Kampf gefallen sind.« Er wirft mir einen Seitenblick zu. Auf seinem Gesicht liegt ein schiefes Grinsen, das ich gerne küssen möchte.
»Und wieso funktioniert das bei dir jetzt nicht mehr?«
Das Grinsen wird breiter. Adam macht eine ausladende Handbewegung. »Dieses Gelände hier gehörte zu einem Atomkraftwerk. Das eines Tages in die Luft geflogen ist.«
Ich starre ihn mit großen Augen an. »Wann war das?«
»Vor etwa fünf Jahren. Sie haben alles schnell beseitigt und den Unfall vor der Bevölkerung und den Medien geheim gehalten. Keiner weiß genau, was passiert ist. Aber die Strahlung hier ist nach wie vor tödlich.«
Er bleibt stehen. »Ich bin schon zigmal hier gewesen, ohne dass mir etwas passiert wäre. Warner hat mich früher hergeschickt, um Bodenproben zu nehmen. Er wollte die Auswirkungen untersuchen.« Adam streicht sich durch die Haare. »Ich glaube, er wollte irgendein Gift daraus entwickeln.
Als ich zum ersten Mal hier war, dachte Warner, ich sei gestorben. Der Peilstoff ist mit sämtlichen Schaltzentralen verbunden – sobald ein Soldat stirbt, geht ein Alarm los. Warner wusste, dass es
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