Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
weiterer Panzer unterwegs, aber ich nehme nicht an, dass er uns bemerkt. Adam fährt ohne Licht, und ich frage mich, wie ihm das gelingt. Nur der Mond beleuchtet unseren Weg.
Es ist unheimlich still.
Einen Moment lang erlaube ich meinen Gedanken, zurückzuschweifen zu Warner. Frage mich, was wohl jetzt los ist, wie viele Leute mich suchen, zu welchen Mitteln Warner greifen wird, um mich zurückzubekommen. Adam will er tot, mich will er lebendig. Er wird keine Ruhe geben, bis er mich wieder an seine Seite gezwungen hat.
Er darf nie nie nie erfahren, dass er mich berühren kann.
Ich kann nur erahnen, was er tun würde, wenn er Zugriff auf meinen Körper hätte.
Sauge hastig Luft ein. Frage mich, ob ich Adam erzählen soll, was passiert ist. Nein. Nein. Nein. Nein. Ich kneife die Augen zu und sage mir, dass ich mich vielleicht geirrt habe. Die Situation war chaotisch. Ich war abgelenkt. Vielleicht habe ich es mir eingebildet. Ja.
Vielleicht habe ich es mir eingebildet .
Es ist schon eigenartig genug, dass Adam mich anfassen kann. Dass es zwei Menschen auf der Welt gibt, die immun sind gegen meine Berührung, ist absolut ausgeschlossen. Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass ich mich geirrt habe. Wahrscheinlich hat etwas anderes mein Bein gestreift. Ein Fetzen von dem Laken, mit dem Adam die Scheibe eingeschlagen hat. Ein Kissen, das vom Bett gefallen war. Oder Warners Handschuhe, die irgendwo am Boden lagen. Ja.
Warner kann mich nicht berührt haben, sonst hätte er vor Schmerz geschrien.
Wie alle anderen.
Adam nimmt stumm meine Hand, und ich umklammere mit beiden Händen seine Finger, muss mich versichern, dass er wirklich sicher ist vor meiner Kraft. Jeden Tropfen seines Daseins will ich plötzlich trinken, all die Momente auskosten, die es niemals für mich gab. Weil ich plötzlich fürchte, dass dieser Zustand womöglich begrenzt sein könnte. Eine Uhr, die Mitternacht schlägt. Eine Kürbiskutsche.
Wenn ich ihn verliere
Wenn ich ihn verliere
Wenn ich ihn verliere, warten 100 Jahre Einsamkeit auf mich. Daran will ich nicht denken. Ich brauche seine Wärme. Seine Berührung. Seine Lippen – Gott, seine Lippen –, sein Mund an meinem Hals, sein Körper, mit meinem verschlungen, als wolle er mir bestätigen, dass mein Dasein auf dieser Welt nicht vergebens war.
Diese Erkenntnis trifft mich immer wieder, ein Pendel so groß wie der Mond.
»Juliette?«
Ich schlucke die Kugel hinunter, die mir im Hals steckt. »Ja?«
»Warum weinst du …?« Seine Stimme ist fast so behutsam wie seine Hand, als sie sich aus meinem Griff löst. Er berührt die Tränen, die mir übers Gesicht strömen, und ich schäme mich so, dass ich kaum sprechen kann.
»Du kannst mich berühren«, sage ich. Zum ersten Mal kommen mir diese Worte über die Lippen, und meine Stimme erstirbt zum Flüstern. »Du kannst mich berühren. Du magst mich, und ich weiß nicht, warum. Du bist nett zu mir, obwohl du es nicht sein müsstest. Meine eigene Mutter –« Meine Stimme bricht, und ich presse die Lippen zusammen. Verschließe sie. Zwinge mich zum Stummsein.
Ich bin ein Fels. Eine Statue. Eine in der Zeit erstarrte Bewegung. Eis kann nichts fühlen.
Adam antwortet nicht, spricht kein Wort, bis er von der Straße abbiegt und den Panzer in eine alte unterirdische Garage steuert. Wir sind wohl wieder in einer von Menschen bewohnten Siedlung, aber hier unter der Erde ist es stockfinster. Ich kann kaum etwas erkennen und frage mich, wie Adam hier hineinfahren konnte. Dann fällt mein Blick auf das erleuchtete Armaturenbrett, und ich sehe, dass der Panzer mit einem Nachtsichtgerät ausgestattet ist. Natürlich .
Adam stellt den Motor ab und seufzt. Ich kann seine Silhouette kaum erkennen, aber ich spüre eine Hand auf meinem Schenkel, während die andere sich über meinen Körper zu meinem Gesicht tastet. Wärme strömt durch meine Glieder wie glühende Lava. Meine Fingerspitzen und Zehen erwachen kribbelnd zum Leben, und ich unterdrücke das Zittern, das meinen Körper überwältigen will.
»Juliette«, flüstert Adam, und jetzt spüre ich, wie nah er bei mir ist. »Du und ich alleine gegen die Welt, so war es schon immer. Seit wir uns kennen. Ich bin schuld daran, dass es so lange gedauert hat, bis wir uns wiedergefunden haben.«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Das ist nicht deine Schuld.«
»Doch. Ich habe mich schon vor so langer Zeit in dich verliebt, aber ich war nie mutig genug, es dir zu
Weitere Kostenlose Bücher