Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
sich von diesem Ort fern, und auch Soldaten kommen in der Regel nicht her. Alle haben Angst vor der Strahlung.« Er legt den Kopf schief. »Das ist einer der Gründe, weshalb Warner mir im Umgang mit dir vertraut hat. Er fand es gut, dass ich bereit war, im Einsatz mein Leben zu riskieren.«
»Er hätte nie geglaubt, dass du abtrünnig wirst«, murmle ich.
Adam schüttelt den Kopf. »Nein. Und nach der Sache mit dem Peilserum war er auch überzeugt davon, dass hier alles Mögliche passieren kann. Den Panzer habe ich selbst außer Kraft gesetzt, falls Warner das hätte überprüfen lassen.« Er weist mit dem Kopf auf das monströse Fahrzeug. »Ich dachte mir, dass ich ihn irgendwann brauchen könnte. Ist immer praktisch, wenn man gut vorbereitet ist.«
Vorbereitet. Er war immer schon darauf vorbereitet wegzulaufen. Zu fliehen.
Ich frage mich, warum.
»Komm her«, sagt er mit sanfter Stimme. Er greift im Halbdunkel nach mir, und ich sage mir, dass er meine nackten Schenkel nur zufällig streift. Ich sage mir, dass es kein berauschendes Gefühl ist, als er mir beim Einsteigen hilft. Ich sage mir, dass er mich nur beiläufig anschaut, während draußen die Sonne hinterm Horizont verschwindet.
»Ich muss mich um deine Beine kümmern«, sagt er, und seine Stimme flüstert an meiner Haut, vibriert in meinem Blut. Zuerst verstehe ich gar nicht, was er meint. Mir sind die Verletzungen einerlei. Es erstaunt mich selbst, wie unpraktisch ich denke. Ich habe nie die Freiheit besessen, andere Menschen zu berühren. Und niemand hat sich je gewünscht, von mir berührt zu werden. Adam ist eine vollkommen neue Erfahrung.
Ich kann an kaum etwas anderes denken, als ihn anzufassen.
»Die Schnitte sind nicht so schlimm«, sagt er und streicht mit den Fingerspitzen über meine Waden. Ich sauge die Luft ein. »Aber wir sollten sie säubern. Sie dürfen sich nicht entzünden.«
Er schaut auf. Seine Hand liegt jetzt auf meinem Knie.
Ich nicke. Weiß nicht, warum. Frage mich, ob ich äußerlich so sehr zittere wie innerlich. Hoffe, dass Adam nicht merkt, wie rot ich geworden bin. Wie peinlich, dass er nicht mal mein Knie berühren kann, ohne dass ich in Aufruhr gerate. Ich muss was sagen. »Wir sollten sicher aufbrechen, oder?«
»Ja.« Er holt tief Luft, als müsse er erst zur Besinnung kommen. »Ja, das sollten wir.« Er schaut zur Tür hinaus ins Zwielicht. »Es wird eine Weile dauern, bis sie merken, dass ich noch lebe. Wir müssen die Zeit nutzen.«
»Aber wird das Serum nicht wieder funktionieren, wenn wir das Gelände verlassen? Werden sie dann nicht Bescheid wissen?«
»Nein.« Adam klettert auf den Fahrersitz und tastet nach der Zündung. Es gibt keinen Schlüssel, nur einen Startknopf. Ich frage mich, ob Adams Daumenabdruck als Zugangsidentifikation erkannt wird. Der Motor erwacht dröhnend zum Leben. »Warner musste mein Peilserum jedes Mal erneuern, wenn ich hier gewesen war. Wenn das Zeug mal außer Funktion gesetzt ist, bleibt es dabei.« Er grinst. »Wir können also jetzt echt abhauen.«
»Aber wohin wollen wir eigentlich?«, frage ich nun endlich.
Adam legt den Gang ein.
Dann sagt er: »In mein Haus.«
30
»Du hast ein Haus ?« Ich bin so verblüfft, dass ich meine Manieren vergesse.
Adam lacht und fährt über das Feld. Der Panzer ist erstaunlich schnell und wendig, und der Motor surrt ganz leise, da er mit Strom betrieben wird. »Ein Haus nicht direkt«, antwortet Adam. »Aber jedenfalls ein Zuhause.«
Ich will fragen und will doch nicht fragen und muss fragen und möchte niemals fragen. Ich muss unbedingt fragen. Wappne mich innerlich. »Dein Vater –«
»Ist schon eine Weile tot.« Adams Miene verfinstert sich, und ich verstehe gut, was ich in seiner Stimme höre. Schmerz. Bitterkeit. Wut.
»Oh.«
Wir schweigen, versinken beide in unseren Gedanken. Ich wage nicht zu fragen, was aus seiner Mutter geworden ist. Dass sich Adam trotz seines furchtbaren Vaters so gut entwickelt hat, finde ich erstaunlich. Ich wundere mich, dass er zur Armee gegangen ist, wenn er sie so sehr hasst. Aber auch diese Frage stelle ich jetzt nicht. Will keine emotionalen Grenzen überschreiten.
Ich habe selbst Tausende solcher Grenzen in mir.
Ich schaue aus dem Fenster und versuche zu erkennen, wo wir sind, aber das trostlose verlassene Land sieht überall gleich aus. Menschen gibt es hier nicht, wir sind zu weit entfernt von den Siedlungen des Reestablishments und anderen Behausungen. Keine dreißig Meter entfernt ist ein
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