Ich gegen Dich
eine gemeinsame Linie verständigt und ließen sich nicht gegeneinander ausspielen. Ellie sah es ihren Augen an. Etwas Überlegtes und Entschlossenes. Sie wischte sich die Hände mit der Serviette ab und ließ den Croissantrest auf ihrem Teller liegen.
»Also«, sagte sie, »dann gehe ich wohl besser. Hoffentlich amüsiert ihr beide euch gut beim Anwalt.«
Das erwiderte ihre Mutter nur mit einem traurigen Lächeln. »Los«, sagte sie, »raus mit dir.«
Als das Auto vom Weg auf die Hauptstraße einbog, machte Ellie ihr Fenster auf. Die Luft roch nach Frühling, überall glitzerten Sonnenstrahlen. Primeln wuchsen am Kreisverkehr und in Körben an der Bushaltestelle. Sie mochte diese Fahrt, seitlich am Park entlang, an der Kirche vorbei. Man konnte sich fast vorstellen, sie würde ein schönes Ziel ansteuern, wo sie etwas Gutes erwartete.
Dabei war seit Tagen nichts anderes Gutes passiert, als dass sie den Partyschreck kennengelernt hatte. Ellie schloss die Augen, um sich an ihn zu erinnern – sein freches Grinsen, sein lässiger Gang. Sie hatte sich den ganzen Abend über die bescheuerte Party geärgert, darüber, dass sie für Toms Haarschnitt Ärger gekriegt hatte. Weil der Ärger sie selbstbewusst gemacht hatte, war sie nicht rot geworden oder über ihre eigene Zunge gestolpert, als der Junge zu ihr gekommen war, hatte sich keine Gedanken wegen ihrer Narbe gemacht. Im Zwielicht am Fluss hatte sie das Gefühl gehabt, dass etwas Neues möglich wäre.
Was hatte Tom an diesem Morgen im oberen Flur noch mal gesagt? Sei wachsam.
Aber wenn man allen gegenüber immer so misstrauisch war, fehlten einem am Ende die Worte. Jetzt waren Taten gefragt. Zweimal hatte sie dem Partyschreck eine SMS geschrieben. Und zweimal vor dem Senden gelöscht.
»Weißt du was«, sagte sie zu ihrer Mum, »selbst in meinen Träumen sehe ich mich vor.«
»Ich weiß nur, dass ich zu spät kommen werde, um mich von Tom und Dad zu verabschieden, wenn ich das Verkehrsleitsystem nehme.«
»Fährst du denn nicht mit?«
»Ich bin anscheinend überflüssig.«
»Was machst du dann den ganzen Tag?«
Sie zuckte die Schultern. »Das Übliche – sauber machen, das Abendessen planen. Vielleicht fahr ich zu Grans Haus rüber und räum es etwas weiter aus.«
»Ich komm mit. Du bittest mich doch seit Wochen drum, dir beim Ausräumen zu helfen. Danach könnten wir an den Strand gehen. Macht bestimmt Spaß.«
»Guter Versuch, aber du gehst zur Schule. Kann ich dich hier absetzen? Läufst du das letzte Stück?«
Sie hielt auf der flusszugewandten Seite am Straßenrand.
Ellie schaute kurz aufs Wasser. Es war dunkel und fast unbewegt. Vielleicht könnte sie reinspringen und sich in die Meerjungfrau verwandeln, von der Tom gesprochen hatte. Sie könnte inmitten von Enten und aufgeweichtem Brot drin herumplanschen, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen.
»Geld fürs Mittagessen«, sagte Mum und gab ihr zehn Pfund. »Das reicht auch noch für einen Kaffee nach der Schule mit deinen Freundinnen. Dad hat bestimmt Verständnis, wenn du heute nicht sofort nach Hause kommst und lernst.«
»Das bezweifle ich.«
»Ach, Schätzchen, sei nicht so streng mit ihm. Er möchte nur, dass du in deinen Prüfungen gut abschneidest, aber er versteht schon, dass du auch Zeit für deine Freundinnen brauchst.«
Ellie wollte erklären, dass sie keine Freundinnen hatte, dass das Einleben in eine neue Schule viel schwieriger war, als ihre Mutter sich das jemals vorstellen konnte, und dass es nicht gerade einfacher wurde, wenn der eigene Bruder wegen sexueller Nötigung angeklagt war. Aber sie wollte auch nicht die Hoffnung in den Augen ihrer Mutter auslöschen.
»Also wenn ich heute später wiederkomme«, sagte sie fröhlich, »weißt du ja, wo ich bin.«
Sie machte die Tür auf. Jetzt musste sie am Flussufer entlanggehen, um die Brücke zu erreichen. Die Schule lag am anderen Ufer – drei ebenerdige Gebäude aus lauter Glas und Ecken und Kanten. Da war der Schulhof, lichtdurchflutet, das laute Stimmengewirr, während Kids aus allen Richtungen darauf zuströmten.
»Glaubst du, alle werden mich anstarren?«, fragte sie.
»Natürlich nicht. Aber wenn, dann wende dich an einen Lehrer.«
»Glaubst du, die Morgenversammlung wird abgeblasen, damit sie mich vor der ganzen Schule ausfragen können?«
»Ach, Liebes, ich weiß, dass es schwer für dich ist, aber du musst jetzt tapfer sein. Mach es Tom zuliebe, Süße. Denk an ihn.«
Sie beugte sich rüber und gab Ellie einen
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