Ich gegen Dich
wollte nicht selber von der ganzen Sache erzählen.
»Sorry, ich darf nicht drüber reden.«
Rebecca wirkte enttäuscht. »Wir sagen es auch keinem weiter.«
Sie hangelte nach der besten Ausrede, die ihr einfiel: »Die Polizei hat es mir verboten.«
Lucy legte Ellie einen Arm um die Schultern. »Wir sind doch alle Freundinnen.«
Ellie schaute sich rasch um. Ein Junge zwinkerte ihr zu, als ihre Blicke sich trafen, einer daneben schüttelte den Kopf, als wäre er enttäuscht. Ein Mädchen sog geräuschvoll Luft ein, bog den Oberkörper zurück und sagte: »Ellie Parker, du bist so was von scheißeingebildet.«
Eine Woge von Gelächter schwappte durch die Menge, während Ellie wegging.
Vielleicht fühlte es sich so an, berühmt zu sein: nicht wissen, was falsch und was echt war, einfach nur grinsend versuchen, alles an sich abprallen zu lassen.
Um die Zeit herumzubekommen, ging sie mit gesenktem Kopf, den Blick auf ihre Schuhe geheftet, über den Schulhof, immer einen Fuß vor den anderen setzend. Bald würde das hier vorbei sein, bald würde die Glocke läuten, und sie wäre in ihrem Klassenzimmer, und es würde Lehrer und Aufgaben zu erledigen geben. In ein paar Tagen würde eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Bis dahin musste sie einfach nur durchhalten.
Als es läutete, hatte sie Schwierigkeiten, zur Tür zu kommen. Ein Junge streifte sie am Arm und flüsterte: »Dein Bruder ist ein Pädo.«
Ein anderer fragte: »Wie geht's deinem Bruder?« Und, als Ellie »gut« antwortete: »Schande.«
Drei Mädchen, die sie an jedem anderen Tag kein Stück beachtet hätten, kamen an.
»Wie kommt Tom damit klar?«, fragten sie mit sanften Stimmen, besorgt, so als hätte er mehrere Ehefrauen.
»Ähm, geht so, danke.«
»Richte ihm aus, wir denken an ihn. Sag ihm, alles Liebe von Lily, Alice und Caitlin.«
»Okay, danke. Ich sag's ihm.«
Ein seltsames Schweigen senkte sich auf das Klassenzimmer, als sie hereinkam; alle Blicke waren auf sie gerichtet, während sie zu ihrem Platz ging. Conor Lockhead, der Klassenclown, steuerte sie direkt an und setzte sich auf ihre Tischkante.
»Hey«, fing er an. »Stimmt's, dass dein Bruder ein Mädchen vergewaltigt hat?«
Ellie beschloss, ihn zu ignorieren, und setzte sich hin.
»Ist er im Gefängnis?«, fragte Conor weiter.
»Nein.«
»Dann hat er es also nicht getan?«
»Nein.«
»Ist er wieder im College?«
»Da darf er noch nicht wieder hin.«
Conor schaute verwirrt drein. »Hast du nicht grade gesagt, er war's nicht?«
»Stimmt. Hör mal, ich darf nicht drüber reden.«
Sie holte Stift und Papier raus und hielt den Blick starr darauf gerichtet. Dann kritzelte sie einen Baum mit lauter knospenden Köpfen, alle höhnisch grinsend, dass man lauter Zähne sah. Sie wünschte, sie hätte eine Freundin, eine, neben der sie sitzen konnte, die sie in Schutz nehmen würde.
Mr. Donal kam hustend herein, sah Ellie und sagte lächelnd: »Schön, dass du wieder da bist.«
Das war alles. Er hatte einen Stapel Blätter dabei, die er zügig austeilte, und bald darauf waren sie alle damit beschäftigt, Fragebögen für ihren Zwischenbericht auszufüllen. Hervorragende Taktik. Absolute Stille. Reden nicht erlaubt. Weder Bewegen noch Aufstehen, zur Toilette gehen oder Vorbeigehen und Ellie heimlich den Ellenbogen in den Rücken stoßen. Doch das hielt nur fünfzehn Minuten an, dann läutete die Glocke zur ersten Unterrichtsstunde.
Der Erste, der in Mathe auf sie zukam, war Danny, gut eins achtzig groß und der einzige Junge, den sie je geküsst hatte. Er hatte sie bei der Weihnachtsfeier zum letzten Tanz aufgefordert, seither hatten sie nicht mehr miteinander geredet. Sie wurde jedes Mal rot, wenn sie ihn sah; heute war es nicht anders.
Er sagte: »Das mit deinem Bruder tut mir leid.«
»Danke.«
»Hat er einen Prozesstermin?«
Sie schüttelte den Kopf, wusste, dass sie abweisend wirkte, aber sie konnte nicht reden, konnte ihn kaum ansehen. So hatte sie sich ihre nächste Unterhaltung mit ihm nicht vorgestellt.
»Na, viel Glück mit allem.«
Er ging weg, und es war, als hätte er einen Staffelstab weitergereicht, denn noch bevor die Röte aus ihrem Gesicht war, kam eine Freundin von Karyn an.
»Die ganze Schule redet über dich«, sagte sie.
»Über mich oder meinen Bruder?«
»Tja, da er nun mal nicht da ist, muss ich wohl dich meinen.«
Ellie heftete den Blick auf ihr Mathebuch, betete, dass die Lehrerin sich beeilte, und versuchte, daran zu denken, dass sie sehr
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