Ich gegen Dich
beeil dich, wir gehen gleich rein.«
Wie konnte sie da also sagen: Mum, ich will, dass du auf mich aufpasst.
Die Menge drängte die Treppe hoch. Ellie ertrug es nicht, Stacey noch einmal zu begegnen.
»Bin gleich wieder da.«
Mum nickte. »Ich halt dir einen Platz frei.«
Wie bei einem Theaterbesuch, als ob ein Sitz möglichst weit vorn nett wäre.
Ellie verzog sich in eine Kabine und verriegelte sie, lehnte sich gegen die Tür und legte sich beide Hände auf den Magen, um den stechenden Schmerz zu dämpfen. Sie versuchte, an etwas Schönes zu denken – Hummeln, die in sonnigen Gegenden Nektar aus kleinen Blütenkelchen saugten, Berge mit schneebedeckten Kuppen.
Nichts wirkte. Weil das hier in wenigen Wochen so viel schlimmer werden würde, wenn das Gericht mit Geschworenen zusammentrat, wenn Ellies Name aufgerufen und man sie auffordern würde, in den Zeugenstand zu treten, auf eine Bibel zu schwören und die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit, so wahr ihr Gott helfe.
Sie erbrach alles in die Toilettenschüssel – Toast und Kaffee, die Spaghetti von gestern Abend. Danach fühlte sie sich klein und durchsichtig. Sie wischte sich den Mund, spülte alles weg und saß zitternd auf der Klobrille. Wenn sie sich übergab, musste sie immer weinen, also wusste sie, dass ihre Wimperntusche jetzt verschmiert war und dass sie anstatt aufrichtig und heilig völlig aufgelöst aussah und zweifelsohne noch mehr Ärger mit ihren Eltern kriegen würde.
Sie zog einen Packen Papier von der Rolle und wischte sich die Augen. Hinter ihr, weit oben, schimmerte ein Sonnenstrahl durchs Fenster. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und ließ ihn kurz ihr Gesicht bescheinen.
»Ellie Parker«, sagte sie zu sich selbst. »Du schaffst das hier. Mach's Tom zuliebe. Deiner Familie zuliebe. Tom ist dein Bruder. Er würde nie etwas machen, um dir wehzutun.«
Sie wusch sich Hände und Gesicht am Waschbecken, spülte den Mund aus und glättete sich das Haar vor dem Spiegel. Dann zog sie die Tür einen Spaltbreit auf und spähte den Korridor in beide Richtungen entlang. Niemand war in der Nähe, Treppenabsatz und -stufen leer. Die Tür zum Verhandlungsraum war geschlossen. Hieß das, dass sie jetzt nicht mehr rein durfte? Nein, nicht noch eine Katastrophe! Unschlüssig lungerte sie draußen herum, bis sie sich schließlich entschied, wieder nach unten zu gehen und den Pförtner zu fragen. Aber an der obersten Stufe angekommen, hielt sie an, weil sie Stimmen und Schritte raufkommen hörte, und spürte, wie ihr das Adrenalin Gesicht und Brust überzog. Diese Stimme kannte sie.
Mikey McKenzie sah sie an, als er den letzten Treppenabsatz erreichte. Mit vor Überraschung aufgerissenen Augen sagte er nichts weiter als: »Hallo.«
Ellie nickte, brachte kein Wort heraus.
Er war mit einer Frau zusammen, die zwar jünger als ihre eigene Mutter, aber eindeutig seine Mutter war. Die dunklen Haare und Augen hatte er von ihr. Sie hatte sich weder feingemacht noch geschminkt, trug nur eine schäbige Jeansjacke über einem Jogginganzug. Da standen die drei nun also oben an der Treppe.
Mikey fragte: »Gehst du rein?«
»Ich weiß nicht. Die Türen waren offen, und jetzt sind sie zu.«
Er zuckte nachsichtig die Achseln. »Die Pförtnerin hat gesagt, wir sollen reingehen.«
Seine Mutter drückte ihm die Hand auf den Arm und sagte: »Ist da drüben das Klo? Da muss ich erst mal rein.«
»Klar, Mum. Ich warte auf dich.«
Sie sahen ihr hinterher, bis die Tür zufiel. Jetzt waren sie allein.
Ellie fragte: »Weiß sie, wer ich bin?«
»Nein.«
»Wirst du es ihr sagen?«
»Warum sollte ich?«
»Und was ist mit Karyn? Kommt sie?«
Er schüttelte den Kopf. Dumme Frage. Natürlich nicht. Die war zu verängstigt, um aus der Wohnung zu gehen, hörte sie das nicht immer wieder von allen Seiten?
»Jacko ist hier«, sagte er. »Er sucht einen Parkplatz.«
Sie nickte in dem Bewusstsein, dass sie rot wurde. Hinter der Tür waren an- und abschwellende Stimmen zu hören.
Sie wusste, dass er ihr Vorwürfe machte, dass er dachte, sie hätte ihm eine Falle gestellt. Da standen sie nun verlegen rum, und ihr fiel nichts anderes ein als Smalltalk – schönes Wetter, was macht die Arbeit?
»Dein Auge sieht schlimm aus«, sagte sie. »Tut's weh?«
»Geht so.«
»Es ist immer noch ganz blau.«
Er warf ihr einen raschen Blick zu. »Du solltest erst den anderen Kerl sehen.«
Wenn das ein Witz war, lächelte keiner von ihnen beiden drüber.
Sie
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