Ich gegen Dich
Hause. Das ist Karyns Freundin. Darf die denn überhaupt hier sein?«
Es war Stacey Clarke. Sie ging direkt am Auto vorbei, so dicht, dass ihre Jacke die vordere Stoßstange streifte. Sie war mit ihrer Freundin, mit der sie am Tag des Zweikampfs zusammen gewesen war, und noch ein paar anderen Mädchen aus der Schule gekommen. Sie schlossen sich dem ersten Grüppchen auf den Treppenstufen an, so dass sie da nun alle zusammen herumstanden. Unter Ellies Haut fühlte es sich an wie Nadelstiche.
Sie kratzte an der Rückenlehne ihrer Mutter. »Ich geh nicht rein. Ich kann nicht.«
Doch noch bevor ihre Mutter antworten konnte, klopfte jemand ans Fenster.
»Barry«, sagte Dad. »Wird auch verdammt Zeit.«
Ellie war dem Verteidiger schon einmal begegnet. Er war klein und blond und jünger als ihr Vater. Heute Morgen hatte er sich die Haare wie ein Schuljunge zurückgegelt und trug Anzug und Krawatte. Er sah nicht so aus, als könnte er sie retten.
»Kann ich kurz reinspringen?«, fragte er.
Er stieg hinten ein und quetschte Ellie in die Mitte zwischen sich und Tom. Im Auto muss es heiß sein, dachte sie, es muss nach
Angstschweiß riechen. Die Scheiben waren auch noch beschlagen. Sie kam sich klaustrophobisch vor und schämte sich.
»Wie sieht's aus?«, fragte Barry.
»Wir sind in Topform«, tönte Dad. »Können es kaum erwarten.«
»Es sind so viele Leute da, die Tom kennt«, sagte Mum. »Wir fragen uns, warum.«
Barry tat die Menschenmenge auf der Vortreppe mit einer abfälligen Geste ab. »Ach, das würde ich nicht überinterpretieren. Die Leute stellen sich oft vor, Anhörungen wären viel interessanter, als sie sind. In fünf Minuten werden die alle tot umfallen vor Langeweile.«
Dad drehte sich auf dem Fahrersitz um und lächelte Tom zu. »Hast du das gehört? Man muss es einfach mal aus juristischer Perspektive betrachten. Es hilft, mit den Augen eines Strafverteidigers zu sehen, was?«
Tom nickte, sah aber blass und mitgenommen aus; den Blick hielt er immer noch auf die Ansammlung auf der Treppe gerichtet.
»Wahrscheinlich wird es sich zu Ihren Gunsten auswirken«, sagte Barry. »Das sehr unspektakuläre Verfahren wird sie alle dermaßen anöden, dass sie sich die Mühe schenken werden, zum eigentlichen Prozess zu kommen.«
Das war für ihn der Startschuss zu einer kleinen Rede. Fröhlich und selbstgewiss quasselte er über Anklageschriften und Beweislisten und dass ein Prozesstermin in etwa drei Monaten anberaumt werden würde. Der Anwalt sei drin, sagte er ihnen, und rede mit dem Richter in dessen Kammer. Ellie stellte sich beide in Morgenmantel und Pantoffeln vor, Zigarre rauchend. Bestimmt hingen Perücken an einem Ständer, und ein Hund räkelte sich faul auf einem Teppich.
»Also«, sagte Barry, »das wär's dann wohl. Sind alle soweit?«
Sie müssten nun aus dem Auto in das gleißende Sonnenlicht treten, das den Parkplatz überflutete, und an der Menschenmenge vorbei die Treppe hinaufgehen.
Tom fuhr sich mit einer Hand über die Stirn, vor und zurück. »Das ist es«, sagte er. »Das ist es jetzt wirklich.«
»Jawoll«, sagte Dad.
Barry nickte.
Mum drehte sich auf ihrem Sitz um: »Bald haben wir es hinter uns.«
Aber das Blau ihrer Augen wirkte matt, und sie klang selbst nicht davon überzeugt.
Ellie wünschte sich Regen, als sie ausstieg. Sie wünschte sich einen niedrigen schiefergrauen Himmel mit großen dunklen Wolken, die die Sonne verfinsterten, und Donner, der tief über dem Gerichtsgebäude grollte. Stattdessen war der Himmel blau mit ein paar vorüberziehenden Wölkchen von der Farbe alter Klaviertasten. Sie spürte, wie sich ihr ein Gewicht auf Schultern und Nacken legte.
In fünfundzwanzig Jahren ist das alles vorbei, dachte sie. Ich werde weit weg sein, und niemand wird sich dran erinnern.
Barry ging mit Tom und Dad voran, als ob Eile irgendwas nützen würde. Ellie und ihre Mutter hielten sich ein paar Schritte dahinter. Ellie berührte ihre Mutter am Ärmel, um sie weiter zu bremsen. »Ich hab Angst.«
Mum legte einen Arm um sie und hielt sie fest. Ellie wollte, dass sie sagte: Weißt du was? Wir können dich nicht dazu zwingen. Das wäre nicht richtig, du bist doch noch ein Kind. Soll ich dich nach Hause bringen?
Doch sie sagte: »Versuch, dir nichts draus zu machen. Komm schon, Schätzchen, Tom braucht uns.«
Dann nahm sie ihren Arm weg, reckte das Kinn Richtung Menge und ging geradewegs auf die Leute zu.
In dem Augenblick erkannte Ellie, dass niemand ihr helfen
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