Ich gegen Osborne
viele Leute waren so wütend auf mich. Es ist seltsam, jemanden zu hören, dem meine Aktion gefallen hat.«
»Mir hat das krass gut gefallen.« Er hatte eine tiefe Stimme, was komisch klang, weil er so schlank war. Er starrte mich einen Moment lang an, mit so intensivem, starrem Blick, dass ich auf die Innenseite meiner Wange beißen musste, um nicht zu lachen. Dann widmete er sich wieder seiner Jagdszene.
»Dir ist also klar«, sagte Chloe, »dass man dich für den Rest deines Lebens als den Typ kennen wird, der den Schulabschlussball verdorben hat.«
»Bist du deswegen immer noch sauer?«, fragte ich leise, was überflüssig war, da Marleen und Timothy uns trotzdem problemlos hören konnten.
»Nein. Aber es ist die Wahrheit. Wenn Leute aus unserem Jahrgang an dich denken, dann an denjenigen, der ihnen den Ball genommen hat.«
»Ich weiß nicht«, sagte Marleen. »Vielleicht behalten sie ihn als den Typ in Erinnerung, der Hamilton Sweeney während des Unterrichts angespuckt hat.«
[380] »Davon hast du gehört?«
»Du bist ein heißes Thema.«
»Ich war nur deshalb so außer mir, weil er etwas Taktloses über meine Eltern gesagt hat.«
»Hat er das?«, fragte Chloe.
»Ja. Außerdem hat er mich einen Waisen genannt, was nicht einmal stimmt.«
»Warum sollte er das sagen?«
Ich fasste alles zusammen, was während des Feueralarms gesagt worden war. »…und ich meinte: Warum bringst du dich nicht um, oder etwas in der Art, was wirklich dumm war, klar, aber mir fiel nichts anderes ein.«
»Was hat er darauf erwidert?«
»Ich glaube, danach machte er die Bemerkung über meine Eltern.«
»Verstehe.« Chloe nickte. »Tut mir leid, dass er das gesagt hat.«
»Schon okay. Er kann nichts dafür, dass er ein Volldepp ist.«
»Bestimmt hatte er für dieses Benehmen seine Gründe.«
»Hamiltons Privatleben ist ziemlich kaputt«, sagte Marleen.
»Genau, lasst uns alle die männliche Schlampe verteidigen. Diese Schlampen brauchen jede Hilfe, die sie kriegen können.«
Marleen lachte.
»Würdest du bitte aufhören, jeden Schlampe zu nennen?«, fragte Chloe. Daraufhin musste ich lachen. »Ich meine es ernst. Ich hasse dieses Wort, seit ein Mädchen, das auf der St. Clement’s zwei Klassen über mir war, schwanger wurde [381] und jemand in großen, fetten Buchstaben Schlampe auf ihr Auto gesprüht hat, was dazu führte, dass ihre Eltern herausfanden, dass sie schwanger war –«
»Davon habe ich gehört«, sagte Marleen. »Das war Nina Frederiksen, stimmt’s?«
»Stimmt. Daraufhin flippten ihre Eltern aus und haben sie mehr oder weniger verstoßen, weil sie superreligiös waren, und dann hatte sie einen Zusammenbruch und hat sich in den Brustkorb gestochen, und der Embryo starb, aber sie überlebte und kam in der Woche darauf wieder zur Schule und tat so, als wäre nie etwas gewesen.«
»Das ist schrecklich«, sagte ich.
»Genau. Und du weißt, dass ich genauso über Menschen denke wie du. Viele von ihnen sind Schlampen, aber die muss man einfach akzeptieren, denn wenn man’s recht bedenkt, wäre es einem wirklich lieber, wenn alle Leute… Was will ich eigentlich sagen?… Willst du denn nicht, dass die Leute frei sind?«
»Klar will ich das.« Chloes Geschichte erinnerte mich an eine Geschichte, die mir meine Mutter einmal erzählt hatte. Vielleicht stimmte die Geschichte ja nicht einmal, aber angeblich war ein Mädchen, mit dem sie die Schule besucht hatte, sehr neugierig darauf gewesen, wie sich Sex anfühlte. Doch das war in den fünfziger Jahren, und obwohl manche Mädchen recht locker waren, war das die damalige Zeit nicht. Und dieses Mädchen wollte nicht mit einem Jungen ins Bett gehen. Sie befand also, statt eines Jungen könnte es auch eine leere Colaflasche tun. »…und durch den Unterdruck wurde ein Teil ihrer Geschlechtsorgane herausgesaugt.«
[382] »Iih!«, rief Marleen.
»Ich werde gleich ohnmächtig«, sagte Chloe. »Und was geschah dann mit ihr?«
»Ich glaube, sie wurde zusammengeflickt. Also ja, mir ist klar, dass schlimme Dinge geschehen, wenn die Menschen nicht frei sind, wie du sagst, und ich will, dass alle frei sind. Versteh mich nicht falsch. Doch ich glaube, dass man frei sein kann, ohne… dumm zu sein. Ich nehme an, jetzt bist du wieder sauer auf mich?«
»Nein. Aber – was macht dich zum großen moralischen Schiedsrichter von Osborne High?«
»Du bist immer noch sauer auf mich.«
»Nein. Nein, bin ich nicht. Tut mir leid, dass ich das überhaupt gesagt
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