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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joey Goebel
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begangen, von dem ich mich vielleicht nie wieder würde erholen können.
    An meinem Spind raffte ich rasch die Sachen für Deutsch [252]  zusammen und eilte zum Kurs, obwohl es keinen Grund zur Eile gab, da Mr.   Hulette immer behauptete, ihm sei es egal, wenn wir uns verspäteten. »Je später ihr zum Unterricht kommt, desto weniger lange müssen wir einander ertragen«, sagte er uns einmal durch scharfe, grinsende Zähne. Dennoch, ich legte Wert auf Pünktlichkeit – laut Mr.   Hulette eine deutsche Tugend.
    Der Kursraum lag gleich um die Ecke, und im Nu saß ich auf meinem Platz in der ersten Reihe und lernte für den Test, obwohl die Wörter – bei meiner ansteigenden Panik – genauso gut kleine schwarze Maden hätten sein können. Ich saß direkt vor Mr.   Hulettes Pult. Er informierte das Schulmaskottchen gerade über Lehrstoff, den er versäumt hatte.
    »Was um alles in der Welt ist Ihnen eigentlich zugestoßen?«, fragte Mr.   Hulette. Aus seinem Tonfall sprach Belustigung und Abscheu. Seine Stimme klang, als wäre er erkältet, was er aber nicht war.
    »Sie wissen doch, dass ich das Schulmaskottchen war, stimmt’s?«
    »Ja. Sie erwähnten es bereits mehrmals.«
    »Also, ich bin in eine Schlägerei mit dem Maskottchen der anderen Mannschaft geraten und dabei unglücklich gestürzt.«
    Mr.   Hulette lachte mehr, als es wohl angebracht gewesen wäre. »Sie Armer.«
    »Möchten Sie meinen Gips signieren?«
    »Nein!«, sagte Mr.   Hulette voller, teilweise gespielter Geringschätzung.
    »Warum nicht?«, fragte das Maskottchen lachend.
    »Weil das eine dumme Angewohnheit ist. Mein Name [253]  soll doch nicht auf Ihnen stehen. Es ist besser, wenn wir außerhalb dieses Kurses keinerlei Verbindung haben.« Mr.   Hulette hatte die Gabe, Leute direkt zu beleidigen, ohne sie zu kränken. Er lächelte ständig, doch wenn sein Mund sich um einen oder zwei Zentimeter verschoben hätte, wäre aus dem Lächeln ein hämisches Grinsen geworden.
    Nach und nach trafen meine Mitschüler ein, und ich schaute, ob sie mich ansahen. Darunter war ein freundliches Paar, das immer gemeinsam in den Kurs kam und auch wieder gemeinsam ging. Ich mochte sie, beneidete sie aber um ihre überdrehte, von ständigem Kichern begleitete Beziehung. Wenn ich die beiden sah, fiel mir wieder Silvester ein. Mein Liebesleben würde so leer sein wie die drei Nullen des Jahres 2000, die langsam auf mich zurollt wie Donuts, die sich dem aufgesperrten Mund eines ans Bett gefesselten, krankhaft adipösen Menschen näherten.
    Doch das war nicht so wichtig. Falls die Schüler herausfänden, dass ich für die Absage des Balls verantwortlich war, gehörte Silvester zu meinen geringsten Sorgen. Statt mich damit aufzuhalten, dass das mir vertraute Leben während der nächsten drei Stunden zerbrechen könnte, versuchte ich, eine nette Melodie im Kopf zu behalten, etwas von Sinatra, der vor gerade einmal elf Monaten gestorben war – was hier aber keinen kümmerte. Ich entschied mich für Somethin’ Stupid, hielt die Melodie aber nicht einmal bis zum Refrain durch. Durchaus möglich, dass sich in diesem Moment, als ich kerzengerade in der ersten Reihe des Deutschkurses saß, in Windeseile ein Gerücht über James Weinbach im ganzen Gebäude ausbreitete.
    Wie gut, dass Stephanie nicht tratschte.

[254]  Deutsch II
    12 . 13   Alle blökten wie unterernährte Lämmer über die Abschlussballtragödie, und die Klingel hatte keine Macht über sie, da Mr.   Hulette den Unterricht normalerweise mit mindestens zehn Minuten Verspätung begann. Keiner saß still, und ihre bleichen Gesichter verstummten nicht, die zarten Kiefer betrauerten, dass sich ihre kleine Welt in Auflösung befand. Ihre Frisuren waren verrutscht, und ich glaubte, Schweiß zu riechen. Ihre Gespräche waren abgehackt und stockend, und ständig fiel das Wort »Gott«. Meine Ohren schnappten einen beunruhigenden Gesprächsfaden zwischen dem Maskottchen und dem Hipster aus Kreatives Schreiben auf:
    »Für wen hält er sich eigentlich?«
    »Aber echt. Der hat wirklich Nerven, versaut es allen.«
    »Aber wie hat er das überhaupt geschafft, dass man ihn absagt?«
    Den Rest bekam ich nicht mehr mit, da die Jungs leiser wurden und sich mein Herzschlag unmöglich ignorieren ließ.
    Stephanies vulgäre Lippen hatten sich offenbar doch umgehend ans Werk gemacht. Da ich wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis man mich direkt anging, versuchte ich mich zu beruhigen und mir eine

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