Ich geh jetzt in dein Karma rein
Herzensmann kommt wieder zu dir zurück«. Für diese Art Beratung hätte ich persönlich nicht 2,70 Euro pro Minute ausgegeben. Das hätte mir auch meine Nachbarin ganz umsonst erzählen können, und bei ihr hätte es eine Tasse warmen Kakao obendrauf gegeben.
Als es später an der Haustür klingelte, nahm sie die Kundin sogar mit, um unser Essen in Empfang zu nehmen. »Wenn ich sie an meinem alltäglichen Leben teilhaben lasse, fühlen sich die Anrufer wie ein guter Freund oder eine gute Freundin von mir«, erklärte sie mir.
Mittlerweile war mir auch außerhalb des Seminarraums Andromedas exklusiver Einrichtungsgeschmack aufgefallen. Die Wohnung strotzte vor edlen Designermöbeln. Die sanitäre Einrichtung ihres Badezimmers bestand zum Beispiel komplett aus Villeroy & Boch, und sämtliche elektronischen Geräte steuerte sie lässig per Fernbedienung. Das Chaos, das ein Stromausfall verursachen würde, konnte ich mir lebhaft vorstellen. Ich versuchte zu schätzen, wie teuer ihre Küche, die XXL -Ecksitzgarnitur oder der leinwandgroße Plasmafernseher wohl waren.
»Darf ich dir mal eine direkte Frage stellen?«
»Frag.« Andromeda entkorkte eine zweite Flasche Wein. Trinkfest war sie.
»Hast du mal im Lotto gewonnen oder eine Erbschaft gemacht? Woher hast du nur das ganze Geld für diese unglaublich luxuriöse Wohnung und die Möbel? Die Wohnung ist doch bestimmt 200 Quadratmeter groß.«
»Mit den Seminarräumen sogar knapp 250 Quadratmeter.« Sie nahm einen Schluck aus dem Weinglas, das für sich allein schon teurer war als sämtliche Gläser, die ich besaß. »Aber ich muss dich enttäuschen. Ich habe weder im Lotto gewonnen, noch eine Erbschaft gemacht. Alles, was du hier siehst, habe ich durch meine spirituelle Arbeit verdient.«
»Ach was! Aber das muss doch super teuer gewesen sein! Wie viel verdienst du denn so im Monat?«, platzte es aus mir heraus. Andromeda schien meine Frage kein bisschen zu stören. Sie kicherte lediglich. Der Wein tat allmählich seine Wirkung.
»Was schätzt du denn, wie viel ich verdiene?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
»Soll ich ehrlich sein? Unter 25.000 Euro gehe ich nie aus einem Monat raus. Meistens mache ich einen Umsatz um die 30.000 Euro. Und das ist nur das Geld aus meinen Beratungen. Die Seminare gehen extra, und da kommen bestimmt noch einmal 5.000 Euro oben drauf.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Ich glaubte ihr, denn die Wahrheit liegt bekanntlich ja im Wein.
♈ ☿ 9. Kapitel ♊ ♋
Kommet, ihr Pralinenschachteln
Was ich an meiner Beratertätigkeit besonders mochte: Es wurde niemals langweilig. Nie. Nie. Nie. Jedes Mal, wenn ich dachte, mir wäre schon einfach alles am Telefon passiert, was möglich war, wurde ich kurz darauf eines Besseren belehrt. Wer glaubt, die Arbeit einer Kartenlegerin besteht nur darin, Zukunftsprognosen zu erteilen, dem sei gesagt, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Vielmehr geht es darum, jemandem die Realität darzulegen, der die Realität komplett aus den Augen verloren hat. Die Anonymität am Telefon führte dazu, dass mir die Ratsuchenden innerhalb weniger Minuten ihre dunkelsten Seiten offenbarten, mich in die tiefsten Abgründe ihrer Seele blicken, mich also ganz nah an sich herankommen ließen, oft viel näher als mir lieb war.
»Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man kriegt«, sagte einst Forrest Gump . Und er hatte recht. Ein Arbeitstag auf der Line war stets wie eine riesige Pralinenschachtel: Jeder Kunde war eine ganz besondere Süßigkeit, von der man nie wissen konnte, was sie nach außen hin verbarg.
Da war zum Beispiel die Sängerin Nathalie, 33 Jahre alt und auf dem Sprung ins ganz große Musik-Business. Sie rief mich über einen langen Zeitraum mehrmals am Tag an, damit ich für sie die richtigen Entscheidungen traf. Sollte sie auf einer Gala das rote oder das grüne Kleid tragen? Oder besser das schulterfreie Abendkleid mit der Schleife an der Seite? Sollte sie sich am Abend mit Freunden treffen oder vielleicht lieber mit ihrer Mutter in die Oper gehen? Welche Wohnung passte zu ihr? Die Wohnung am See, das Penthouse in der City oder doch ihre alte Wohnung, in der sie gerade lebte?
Ich habe nie für sie Entscheidungen getroffen. Ich habe mich bemüht, sie zu ermutigen, ihre eigenen Entscheidungen zu finden. Ganz ohne Kartenleger. Meine Befürchtungen, dass es sich dabei um vergebliche Liebesmüh handelte, wurden eines Tages leider
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