Ich geh jetzt in dein Karma rein
Universum TV zuging. Urlaub hatte ich ja gerade auch. Warum also nicht?
Ich: »Okay, Herr Schmidt. Im Moment habe ich Urlaub und hätte für Probeaufnahmen grundsätzlich Zeit.«
Anrufer: »Das ist ja großartig, Frau Wagner! Sagen wir übermorgen gegen 12 Uhr im Studio?«
Ich: »Abgemacht.«
Anrufer: »Wunderbar! Ich schicke Ihnen gleich eine Bestätigungsmail, in der Sie alle weiteren Informationen finden.«
Ich: »Danke. Bis übermorgen.«
Nun war mein Kaffee doch kalt geworden.
Am übernächsten Tag fuhr ich mit dem Zug zu meinem TV -Casting. Nach vier Stunden kam ich endlich am Zielbahnhof an, und beschloss, mir für den restlichen Weg zum Studio ein Taxi zu gönnen. Dort wurde ich herzlich begrüßt und ohne Umwege in die Maske bugsiert. Man verpasste mir ein TV -gerechtes Make-up, während mich eine junge Dame, die aussah wie eine Produktions-Assistentin, briefte. Dann zückte sie einen Fragebogen.
Assistentin: »Was ist denn Ihr Alleinstellungsmerkmal bei Ihren Beratungen?«
Ich: »Alleinstellungsmerkmal? Tja, also ich weiß nicht. Ich lege Lenormand-Karten.«
Assistentin: »Aha. Und was bieten Sie sonst noch so an, was Sie von allen anderen Beratern unterscheidet?«
Wieder diese dämliche Frage!
Ich: »Öhm … eigentlich nur das?«
Die Dame seufzte und kritzelte etwas mit ihrem Stift auf das Blatt Papier.
Assistentin: »Gut. Über Ihr genaues TV -Profil können wir uns dann später noch Gedanken machen.«
Von diesen Vermarktungsstrategien ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, denn ins Fernsehen wollte ich auf keinen Fall. Gut, dass das hier niemand wusste.
Für die Probeaufnahmen musste ich mich an einen Tisch in dem kleinen Fernsehstudio neben dem größeren Hauptstudio setzen, von wo aus die richtigen Shows gesendet wurden. Dann leitete man einen gestellten Anruf an mich weiter, und ich beriet den »Ratsuchenden« zu den Themen Liebe, Beruf und Finanzen, genau wie ich es von zu Hause tat, nur eben vor laufender Kamera und mit konkreter Zeitvorgabe. Insgesamt riefen mich fünf »Ratsuchende« an, die vermutlich Studiomitarbeiter waren und im Nebenraum saßen.
Die Aufnahmen dauerten insgesamt nicht länger als zwanzig Minuten. Danach durfte ich mir hinter den Kulissen eine Live-Show anschauen. Ich schlich also in das Hauptstudio, stellte mich ganz hinten in eine Ecke und beobachtete gespannt, was mir geboten wurde. An einem großen Tisch hockte ein porentiefgebräunter Typ mit schwarzen glänzenden Haaren und fuchtelte hektisch mit seinen Armen durch die Luft. Er sprach mit süddeutschem Dialekt, und ich musste mich stark konzentrieren, um überhaupt etwas von seinem Monolog zu verstehen. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, den bayerischen Sonnenbank-Tester von irgendwoher zu kennen. Aber von woher?
Es klingelte im Studio.
Berater: »Hallo, Andy hier.«
Anruferin: »Hallo Andy, hier spricht die Doris.«
Nein, das konnte nicht sein. Ich erlebte gerade ein Déjà-vu.
Berater: »Die Doris!«
Anruferin: »Andy, ich muss unbedingt mit dir reden. Ich bin immer noch durch meinen Ex-Partner blockiert, von dem ich im letzten Sommer herausgefunden habe, dass er seine angebliche Angelei nur dazu benutzt hat, um sich mit seiner heimlichen Geliebten zu treffen.«
Gibt’s nicht! Das war tatsächlich Doris. Die Doris aus dem Kartenlegekurs, die nicht wahrhaben wollte, dass ihr Mann längst einen einzigen großen Fisch an seiner Angel hatte!
Berater: »Verstehe.«
Anruferin: »Ich merke einfach, dass ich mich auf keinen neuen Mann einlassen kann, weil ich noch immer den Ex in meinem Herzen trage. Obwohl es längst vorbei ist.«
Berater: »Du möchtest wahrscheinlich jetzt, dass ich dein Karma mit diesem Mann auflöse.«
Anruferin: »Unbedingt, Andy. Mir geht’s überhaupt nicht gut. Der steckt immer noch in mir drin.«
Berater: »Gut, dann werde ich dich mithilfe der Karma-Kugel jetzt davon befreien.«
Astro-Andy griff nach einer durchsichtigen, funkelnden Kugel, über die er mit der anderen Hand in kreisenden Bewegungen strich.
Berater: »So, liebe Doris. Konzentriere dich bitte mal auf ihn. Ich geh jetzt in dein Karma rein.«
Während ich mich noch wunderte, wie der Berater Doris von etwas befreien wollte, von dem man sich angeblich niemals befreien konnte, schloss Astro-Andy seine Augen. Vermutlich war dies sein Alleinstellungsmerkmal: die alleinige Macht darüber, das unlösbare Karma zu lösen. Astro-Andy begann inbrünstig zu stöhnen und ruderte dabei mit seinen Armen und
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